Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Beschlussaufhebung ist in der Regel nicht gegeben, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung mehrheitlich abgelehnt hat.

Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem Nachlassinsolvenzverfahren, in dem Forderungen in Höhe von gut 230.000 € zur Insolvenztabelle festgestellt waren, wovon etwa 150.000 € auf das Finanzamt entfallen. Im März 2017 beantragte die Insolvenzverwalterin die Einberufung einer Gläubigerversammlung. Sie wollte sich von der Versammlung ermächtigen lassen, eine Auskunftsklage gegen die vom Schuldner vor Verfahrenseröffnung beschäftigte Steuerberatungsgesellschaft zu erheben (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Der Schuldner hatte an die Steuerberatungsgesellschaft mehrfach Geldbeträge gezahlt zur Weiterleitung an bestimmte Gläubiger, unter anderem an das Finanzamt. Durch die Auskunftsklage sollten mögliche Anfechtungsansprüche der Masse aufgedeckt werden. Mit Beschluss vom 23.03.2017 ordnete das Insolvenzgericht für die beantragte Gläubigerversammlung das schriftliche Verfahren an und bestimmte den „Stichtag“ der Versammlung auf den 10.04.2017. An diesem Tag erklärte das Finanzamt schriftlich, dass es der von der Insolvenzverwalterin beabsichtigten Klage nicht zustimme. Weitere Gläubiger äußerten sich nicht. Ein unter dem 10.04.2017 durch die Rechtspflegerin verfasstes Protokoll, nach dem die Zustimmung durch die Gläubigerversammlung nicht festgestellt werden konnte, ging der Insolvenzverwalterin am 24.04.2017 formlos zu. Diese beantragte daraufhin mit einem am 25.04.2017 beim Insolvenzgericht eingegangenen Schriftsatz die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung gemäß § 78 Abs. 1 InsO wegen Verstoßes gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger.
Das Amtsgericht Bückeburg als Insolvenzgericht hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen[1]. Die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten hat vor dem Landgericht Bückeburg keinen Erfolg gehabt[2]. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Insolvenzverwalterin ihren Antrag auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung weiter, unterlag nun jedoch auch vor dem Bundesgerichtshof, der den Antrag der Verwalterin auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung als unzulässig ansah:
Es fehlt bereits am Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag der Verwalterin auf Beschlussaufhebung.
§ 78 InsO schafft ein „Veto-Recht“ für die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Gläubiger und den Insolvenzverwalter[3]. Das Recht ist parallel zur Regelung des Stimmrechts ausgestaltet. Deshalb können absonderungsberechtigte Gläubiger und nicht nachrangige Insolvenzgläubiger die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragen. Das Antragsrecht des Verwalters dient nicht der Verfolgung eigener, sondern der Wahrung der Interessen der in der Versammlung nicht erschienenen Gläubiger[4]. Auf diese Weise soll § 78 InsO der Verfolgung von Eigen- oder Sonderinteressen durch eine Mehrheit in der Gläubigerversammlung entgegenwirken[5]. Das bedeutet nicht, dass Eigen- oder Sonderinteressen der Minderheit geschützt werden. Maßgeblich ist vielmehr das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger an der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung[6].
Zur möglichst weitgehenden Wahrung der Gläubigerautonomie ist der durch § 78 InsO vermittelte Schutz in doppelter Hinsicht beschränkt. Zum einen greift das „Veto-Recht“ der Antragsberechtigten nicht ohne weiteres durch. Die Frage, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht, obliegt vielmehr der Beurteilung durch das Insolvenzgericht. Die zweite Beschränkung ergibt sich daraus, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung nur aufgehoben werden kann. Die Aufhebung des Beschlusses stellt die Lage wieder her, wie sie war, bevor der dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechende Beschluss gefasst worden ist. Entsteht durch die Beschlussaufhebung eine Regelungslücke, so ist die Gläubigerversammlung dazu berufen, erneut zu entscheiden. Zu diesem Zwecke kann das Insolvenzgericht gehalten sein, eine Versammlung einzuberufen[7]. Das Gericht ist aber nicht dazu berufen, die durch die Aufhebung des Beschlusses entstandene Lücke durch eigene Maßnahmen selbst zu schließen. Dies zeigt, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 78 Abs. 1 InsO nur im Blick auf solche Beschlüsse angenommen werden kann, deren Aufhebung den Widerspruch zum gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger jedenfalls vorläufig beseitigt. Hierzu muss der Beschluss den Widerspruch begründen oder jedenfalls vertiefen. Das ist in der Regel nicht der Fall, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung lediglich ablehnt. Die Ablehnung mag dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechen. Sie ändert jedoch nichts an der Ausgangslage, welche die nach § 78 Abs. 1 InsO in Betracht kommende Beschlussaufhebung allein wiederherzustellen vermag.
Die Aufhebung einer ablehnenden Entscheidung der Gläubigerversamm10 lung ist auch nicht erforderlich, um eine erneute Beschlussfassung herbeizuführen. Die Gläubigerversammlung kann getroffene Beschlüsse jederzeit mit Wirkung für die Zukunft abändern oder aufheben[8]. Insbesondere kann ein zunächst noch mehrheitlich abgelehnter Beschluss in einer späteren Versammlung doch noch gefasst werden. § 78 InsO verfolgt nicht das Ziel, der Gläubigerversammlung den Widerspruch gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger für eine erneute Beschlussfassung vor Augen zu führen. Mit der Beschlussaufhebung soll allein die Durchsetzung von Eigen- oder Sonderinteressen der (Stimmen)Mehrheit verhindert werden. Eine Inanspruchnahme der Gerichte zum Zwecke der Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn der gefasste Beschluss die Ausgangslage zum Nachteil des gemeinsamen Interesses der Insolvenzgläubiger verändert hat.
An einer solchen Veränderung zum Nachteil des gemeinsamen Interesses der Insolvenzgläubiger fehlt es im Streitfall.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Mai 2020 – IX ZB 64/17
- AG Bückeburg, Beschluss vom 07.06.2017 – 47 IN 17/15[↩]
- LG Bückeburg, Beschluss vom 28.08.2017 – 4 T 57/17, ZInsO 2019, 1174[↩]
- vgl. MünchKommInsO/Ehricke/Ahrens, 4. Aufl., § 78 Rn. 1[↩]
- BT-Drs. 12/2443, S. 134[↩]
- vgl. BT-Drs. 12/2443, aaO[↩]
- BT-Drs. 12/7302, S. 164[↩]
- vgl. Pape, ZInsO 2000, 469, 478; Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl., § 78 Rn. 30 mwN[↩]
- MünchKommInsO/Ehricke/Ahrens, 4. Aufl., § 76 Rn. 32; Schmidt/Jungmann, aaO § 76 Rn. 40; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl., § 76 Rn. 34; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, Juli 2019, § 76 Rn. 6[↩]