Zwar kann ein Arbeitnehmer das Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB ausüben, wenn der Arbeitgeber den fälligen Vergütungsanspruch nicht erfüllt. Er ist dann nicht mehr nach § 614 BGB zur Vorleistung verpflichtet. Er muss vielmehr erst dann (wieder) seine Arbeit leisten, wenn der Arbeitgeber die rückständige Gegenleistung erbringt, indem er das rückständige Entgelt zahlt. Solange der Arbeitnehmer sein Zurückbehaltungsrecht wirksam ausübt, endet der Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht. Das ergibt sich aus § 298 BGB, der für alle Fälle des Zurückbehaltungsrechts und damit auch für § 273 BGB gilt.

Altmasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO können aber kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB begründen.
§ 273 Abs. 1 BGB setzt einen wirksamen, mit der Klage erzwingbaren und fälligen Gegenanspruch voraus. § 210 InsO verbietet jedoch die Zwangsvollstreckung wegen einer Altmasseverbindlichkeit. Eine Leistungsklage gegen den Beklagten wegen Altmasseverbindlichkeiten wäre deshalb mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen.
Allerdings hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, die Altmasseverbindlichkeiten durch Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich feststellen zu lassen, sofern darüber Streit bestanden hätte. Diese Möglichkeit genügt jedoch ausgehend von den Zwecken des § 273 Abs. 1 BGB und des Insolvenzverfahrens nicht, um ein Zurückbehaltungsrecht zu begründen.
§ 273 BGB beruht auf dem Grundgedanken des § 242 BGB. Der Schuldner soll davor geschützt werden, gegenüber einem Gläubiger, der einen Anspruch ohne Rücksicht auf einen dem Schuldner zustehenden Gegenanspruch verfolgt und dadurch Treu und Glauben verletzt, seine Leistungspflicht einseitig erfüllen und dabei das Risiko eingehen zu müssen, die ihm zustehende Leistung nicht zu erhalten. Das Zurückbehaltungsrecht bezweckt damit letztlich die Sicherung des Anspruchs des Schuldners und bewirkt dies durch Ausüben mittelbaren Zwangs auf den Gläubiger. Der Beklagte handelte jedoch im Einklang mit den Bestimmungen der Insolvenzordnung, indem er die Erfüllung von Altmasseverbindlichkeiten verweigerte und den Kläger auf die letztrangige Befriedigung im Insolvenzverfahren verwies. § 273 Abs. 1 BGB greift daher nach seinem Zweck in einer solchen Konstellation nicht ein.
Das Insolvenzverfahren ist vom Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung beherrscht. Mit diesem Grundgedanken des Insolvenzrechts steht es in unauflösbarem Widerspruch, wenn dem Arbeitnehmer als Altmassegläubiger mit dem Zurückbehaltungsrecht ein besonderes Zwangsmittel zur Durchsetzung der vom Insolvenzverwalter nicht erfüllten Altmasseverbindlichkeiten zur Seite stünde. Für eine solche Bevorzugung einzelner Gläubiger gibt es im Insolvenzrecht keine Rechtsgrundlage.
Selbst wenn man zugunsten des Klägers annähme, dass er das von ihm in Anspruch genommene Zurückbehaltungsrecht auch auf einen Verstoß gegen das Direktionsrecht des Beklagten gestützt hätte, ihm deshalb bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Recht zugestanden hätte, seine Arbeitsleistung insgesamt zurückzuhalten, und der Beklagte sich deshalb insoweit im Annahmeverzug befunden hätte, wären diese Ansprüche keine Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Der Beklagte hat die Arbeitsleistung des Klägers nicht zur Masse in Anspruch genommen.
Der Insolvenzverwalter nimmt die Gegenleistung des Arbeitnehmers iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO “in Anspruch”, wenn er diese nutzt, den Arbeitnehmer also zur Arbeit heranzieht. Gegenleistung ist die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeitsleistung. Nicht erforderlich ist, dass der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung auf der Grundlage eines erklärten eigenen Willensaktes in Anspruch genommen hat. Eine Privilegierung von Vergütungsansprüchen durch ihre Einordnung als Neumasseverbindlichkeiten rechtfertigt sich regelmäßig nur, wenn der Arbeitnehmer durch tatsächliche Arbeitsleistung zur Anreicherung der Masse beiträgt. Der Masse muss ein wirtschaftlicher Wert zufließen. Das setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt ist.
Für die Entstehung von Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO reicht es nach diesen Maßstäben entgegen der Auffassung der Revision nicht aus, dass der Insolvenzverwalter den bisher freigestellten Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung auffordert. Neumasseverbindlichkeiten werden grundsätzlich nur begründet, wenn der Arbeitnehmer der Aufforderung nachkommt und so die Gegenleistung zur Masse gelangt. Nur in diesem Fall “nutzt” der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und nur in diesem Fall sind die “darauf beruhenden Ansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis”, dh. auch das Entgelt für die sog. “unproduktiven” Ausfallzeiten wie Feiertage und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, als Teil des Synallagmas Neumasseverbindlichkeiten.
Ein Arbeitnehmer, der nicht arbeitet, erbringt keine Gegenleistung. Verhindert ein freigestellter Arbeitnehmer, der vom Insolvenzverwalter zur Arbeitsleistung aufgefordert wird, durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts, dass seine Arbeitskraft der Masse tatsächlich zugutekommt, fließt der Masse kein Gegenwert zu.
Diese Abgrenzung von Alt- und Neumasseverbindlichkeiten entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte dem Arbeitnehmer, der seine Leistung voll zu erbringen hat und nicht vom Verwalter freigestellt worden ist, Anspruch auf volle Vergütung seiner Arbeitsleistung einräumen. Daraus folgt, dass Vergütungsansprüche nur dann als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO iVm. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO privilegiert werden sollen, wenn die Arbeitsleistung der Masse tatsächlich zugutekommt. Fehlt es daran, sind die Vergütungsansprüche als Altmasseverbindlichkeiten zu klassifizieren. Etwas anderes gilt nur für die “unproduktiven” Ausfallzeiten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Mai 2014 – 6 AZR 246/12