Einem Anspruch auf erneutes Insolvenzgeld im Falle einer erneuten Insolvenz des Arbeitgebers steht die Sperrwirkung des ersten Insolvenzereignisses, das bereits zur Zahlung von Insolvenzgeld geführt hat, entgegen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die erste Insolvenz durch ein Insolvenzplanverfahren beendet wurde. Das Bundessozialgericht hält an der Rechtsprechung fest, dass ein neues Insolvenzereignis nicht eintritt und folglich auch Ansprüche auf Insolvenzgeld nicht auslösen kann, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen.

Ein anderes Ergebnis folgt für das Bundessozialgericht auch nicht aus der europäischen Richtlinie 80/987 EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/74/EG, der nach bereits vorliegender Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zukommt. Die gegenteilige Auffassung verkennt insbesondere, dass der Richtlinie keine ausdrücklichen Bestimmungen zur streitgegenständlichen Frage zu entnehmen sind, ob einem Arbeitnehmer, der bereits aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Garantieleistung erhalten hat, bei andauernder Zahlungsunfähigkeit erneut eine Leistung durch die zuständige Garantieeinrichtung zu gewähren ist.
Nach § 183 Abs 1 S 1 SGB III hat ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, Anspruch auf Insolvenzgeld. Insolvenzereignis ist nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ua die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, an der das Bundessozialgericht festhält, tritt ein neues Insolvenzereignis nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf Insolvenzgeld nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner wieder einzelnen Zahlungsverpflichtungen nachkommt.
Soweit das Bundessozialgericht darüber hinaus in der Vergangenheit für die Annahme fortdauernder Zahlungsunfähigkeit auf die andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter abgestellt hat, ist hieraus nicht etwa zu folgern, dass immer von der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auszugehen wäre, wenn der Insolvenzplan nicht (mehr) überwacht wird. Bei andauernder Planüberwachung wird lediglich besonders deutlich, dass insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Befugnisse des Insolvenzverwalters von einer Wiedererlangung der Fähigkeit, fällige Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, von vornherein keine Rede sein kann. Das Bundessozialgericht hat deshalb ausdrücklich offengelassen, wie in Fällen fehlender oder später wieder aufgehobener Planüberwachung zu verfahren ist. Diese Rechtsprechung entwickelt das Bundessozialgericht in dem Sinne weiter, dass auch dann ein einheitlicher Insolvenztatbestand vorliegen kann, wenn keine Überwachung der Planerfüllung stattfindet. Dies ist anhand der Einzelumstände zu prüfen und im Streitfall von den Tatsachengerichten festzustellen. Wird – wie im vorliegenden Fall – eindeutig festgestellt, dass der Arbeitgeber bis zur Beendigung der Planüberwachung (hier: per 30.11.2002) und auch danach bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens (hier: am 02.02.2004) zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder erlangt hat, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, muss es bei der Sperrwirkung des Insolvenzereignisses bleiben.
Ein Anspruch auf Insolvenzgeld kann auch nicht – wie das LSG zu Recht ausgeführt hat – aus § 183 Abs 2 SGB III hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Insolvenzgeld auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Denn dem Arbeitnehmer war das maßgebliche Insolvenzereignis von 2000 bereits bekannt, weil er hierfür Insolvenzgeld erhalten hatte.
Der Rechtsmeinung, § 183 SGB III sei “richtlinienkonform” dahingehend auszulegen, dass bei fehlender Planüberwachung auch ein nachfolgendes zweites “formelles” Insolvenzereignis für einen Anspruch auf Insolvenzgeld ausreiche, folgt das Bundessozialgericht nicht.
Die Ausführungen, der Umstand, dass von den Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 bis 8.10.2005 zu erlassen seien, stehe einer “sofortigen Anwendung” dieser Richtlinie nicht im Wege, stehen bereits nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Denn hiernach kommt der RL 2002/74 im Fall ihrer Nichtumsetzung unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zu. Im vorliegenden Fall war jedoch der zweite (unbeachtliche) Insolvenzfall bereits durch Beschluss des AG vom 02.02.2004 eingetreten.
Unabhängig davon verkennt das LSG bei seiner Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 den Regelungsgehalt des Art 2 der RL, der insbesondere definiert, wann ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig “gilt”. Dem Text des Art 2 Abs 1 in der hier maßgebenden Fassung (jetzt: RL 2008/94 vom 22.10.2008) sind aber keine ausdrücklichen Bestimmungen zu der im vorliegenden Fall streitigen Frage zu entnehmen, ob einem Arbeitnehmer, der bereits aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Garantieleistung iS der RL erhalten hat, bei andauernder Zahlungsunfähigkeit durch die zuständige Garantieeinrichtung erneut eine Leistung zu gewähren ist. Soweit aufgrund der Änderungen durch die RL 2002/74 von einem “Gesamtverfahren” sowie in Art 2 Abs 4 davon die Rede ist, dass die Mitgliedstaaten “nicht gehindert sind”, den Schutz der Arbeitnehmer auch “auf andere Situationen der Zahlungsunfähigkeit” auszuweiten, erfordert dies jeweils den Erlass entsprechender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten, über die diese frei entscheiden können.
Nicht zu folgen vermag das Bundessozialgericht dem Sächsischen Landessozialgericht insbesondere, soweit es aus den Materialien zur Änderung der RL 80/987 durch die RL 2002/74 den Schluss zieht, jedes “formell definierte Insolvenzereignis” iS der RL 80/987 sei geeignet, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen. Das Sächsische LSG verweist hierzu vor allem auf den “Gemeinsamen Standpunkt” des Rates vom 18.02.2002, in dessen Abschnitt 5 – wortgleich übernommen in Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 EG – ausgeführt ist, es sei angebracht, mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit “auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen”, und die Mitgliedstaaten sollten “vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln”. Aus Sicht des Bundessozialgerichts ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dies “im Umkehrschluss” bedeuten soll, dass – mangels deutscher gesetzlicher Regelungen, die mehrere Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammenfassen – im vorliegenden Fall die “formelle” Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.06.2003 einen neuen Anspruch auf Insolvenzgeld auslöst. Den Mitgliedstaaten räumen die Erwägungen die Möglichkeit ein, für die Zukunft auch andere Verfahren einzubeziehen und für diesen Fall einschränkend zu bestimmen, wann mehrere Verfahren als “einziges” Verfahren zu behandeln sind. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ohne ausdrückliche Neuregelung zwei aufeinanderfolgende Insolvenzereignisse nicht als einheitliches Insolvenzereignis behandelt werden dürften, wenn zwischenzeitlich weiterhin Zahlungsunfähigkeit bestanden hat.
Für die gegenteilige Auffassung sprechen schließlich auch nicht die angeführten wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen, der auch Äußerungen im Schrifttum zugrunde liegen. Es mag zwar wünschenswert sein, in Sanierungsfällen über den Schutz des § 183 Abs 2 SGB III hinaus auch Arbeitnehmern, die schon einmal Insolvenzgeld erhalten haben, eine zusätzliche Absicherung zuzubilligen. Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall die Sanierungsbemühungen offenbar zum Scheitern verurteilt waren, kann derartigen Vorstellungen aber nur durch den Gesetzgeber entsprochen werden. Die mit der Einführung von Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen rechtfertigen es nicht, allein aufgrund der Bestätigung des Plans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine erneute Inanspruchnahme der Insolvenzgeld-Versicherung zu eröffnen; auch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit den §§ 183 ff SGB III nicht die Ziele der InsO verfolgt. Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hat sich der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Überarbeitung und Neugestaltung des SGB III im Jahre 2011 insbesondere im Hinblick auf zu erwartende Mehrkosten für die umlagepflichtigen Arbeitgeber und mögliche Wettbewerbsverzerrungen gerade nicht dazu entschlossen, eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG in das SGB III aufzunehmen.
Nach alledem steht das einschlägige europäische Recht der Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht entgegen. Das Bundessozialgericht ist nicht gehalten, die oben behandelten Fragen zur Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 dem EuGH gemäß Art 267 AEUV vorzulegen. Denn insoweit liegt bereits hinreichend aussagekräftige Rechtsprechung des EuGH vor. Geklärt ist insbesondere, dass der RL unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zukommt. Nicht ersichtlich ist, dass im vorliegenden Fall durch die Anwendung des § 183 SGB III entsprechend der Auffassung des Bundessozialgerichts der allgemeine Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung verletzt sein könnte.
Bimdessozialgericht, Urteile vom 6. Dezember 2012 – B 11 AL 10/11 R und B 11 AL 11/11 R