Das Konto des Sohnes – und eie Anfechtung des Finanzamtes

Nach § 191 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO erfolgt die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede (§ 9 AnfG) geltend zu machen ist.

Das Konto des Sohnes – und eie Anfechtung des Finanzamtes

Gemäß § 1 AnfG sind Rechthandlungen eines Schuldners, die seine Gläubiger (hier das Finanzamt) benachteiligen -d.h. jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln oder Unterlassen, das entsprechende rechtliche Folgen hat[1]-, außerhalb des Insolvenzverfahrens anfechtbar. Hierzu gehört auch die Übertragung einer formellen Rechtsposition durch Einzahlung auf das „geliehene“, als Eigen, nicht als Anderkonto geführte Bankkonto eines anderen oder die Aufforderung an einen Drittschuldner (im Streitfall z.B. der Auftraggeber der Kurierfahrten), mit schuldbefreiender Wirkung auf ein solches Konto zu überweisen. Hierdurch erreicht der Schuldner (hier der die Kurierfahrten durchführende Vater V), dass jedenfalls im Außenverhältnis nur noch Forderungen des Kontoinhabers (hier des Sohnes als Kontoinhabers) gegen die Bank bestehen. Somit liegt trotz des (behaupteten) Herausgabeanspruchs des Schuldners keine reine Vermögensumschichtung vor[2]. Vielmehr ist auch eine formelle Rechtsstellung ein Vermögenswert, dessen Weitergabe eine objektiv benachteiligende Rechtshandlung sein und dessen Rückgewähr vom Kontoinhaber (Anfechtungsgegner) gegebenenfalls nach den Vorschriften des AnfG gefordert werden kann[3].

Im hier entschiedenen Fall bedeutete dies: Die Weitergabe der formellen Rechtsposition an den Kontoinhaber hat eine objektive Gläubigerbenachteiligung zur Folge, da die Gläubiger (hier das Finanzamt) das Guthaben auf dem Konto des Kontoinhabers (hier des Kontoinhabers) jedenfalls nicht mehr aufgrund eines gegen den Schuldner gerichteten Vollstreckungstitels pfänden können[4]. Der Eintritt der objektiven Gläubigerbenachteiligung ist isoliert mit Bezug auf die Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Eine Vorteilsausgleichung findet dabei grundsätzlich nicht statt; zu berücksichtigen sind lediglich solche Folgen, die an die angefochtene Rechtshandlung selbst anknüpfen[5]. Die Feststellung der gläubigerbenachteiligenden Wirkung unterscheidet sich insoweit von der Feststellung der (Un-)Entgeltlichkeit; jedoch setzen beide keine dauerhafte Entreicherung des Schuldners oder dauerhafte Bereicherung des Anfechtungsgegners voraus (Umkehrschluss zu § 11 Abs. 2 AnfG)[6].

Das Finanzamt ist anfechtungsberechtigter Gläubiger i.S. des § 2 AnfG. Die gegenüber V festgesetzten Steuerschulden sind fällig und vollstreckbar. Die Vollstreckung in das Vermögen des V ist erfolglos geblieben.

Im Streitfall ist auch der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG erfüllt.

Der Umstand, dass sich das Finanzamt nur auf einen Tatbestand -hier § 4 Abs. 1 AnfG- berufen hat, entbindet das Finanzgericht nicht von der Prüfung der übrigen Anfechtungstatbestände[7].

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Bundesfinanzhof anschließt, kann dahinstehen, ob die von dem Konto getätigten Zahlungen auch gegenüber den Zahlungsempfängern (z.B. gegenüber dem Verein) anfechtbar sind, da dies einer Vorsatzanfechtung gegenüber dem (gegebenenfalls durch den V vertretenen) Zahlungsmittler (hier der Kontoinhaber) nicht entgegenstünde[8].

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Die Darlegung der Kenntnis des Anfechtungsgegners (des „anderen Teils“) wird durch anerkannte Beweisanzeichen bzw. Indiztatsachen und Erfahrungssätze erleichtert, die § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG (n.F.) lediglich um einen zusätzlichen Tatbestand erweitert[9].

Im Streitfall liegen Umstände vor, aus denen geschlossen werden muss, dass V seine Gläubiger i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG benachteiligen wollte und der Kontoinhaber die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des V kannte; die Zehnjahresfrist ist gewahrt. Die bankvertragswidrige und gegen das Gebot zur Kontenwahrheit (§ 154 AO) verstoßende Einrichtung eines verdeckten Treuhand-Kontos unter Überlassung der Kontokarte und Offenbarung der PIN konnte nur den Zweck haben, Bestandteile des Vermögens des V beiseite zu schaffen und die Befriedigung seiner Gläubiger zu vereiteln, also Gläubiger zu benachteiligen, denn es sind im Streitfall nicht einmal im Ansatz Anhaltspunkte für das Vorliegen „anderer Motivlagen bzw. Ausgangssituationen“ erkennbar, die das Finanzgericht zwar vage angesprochen, aber in keiner Weise substantiiert hat. Der Kontoinhaber hat wiederholt, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, lediglich vorgetragen, er habe V Kontokarte und PIN für die Überweisung von Vereinsbeiträgen überlassen. Dieser Vortrag ist unschlüssig, denn für Überweisungen, die im Übrigen ohne Weiteres und ohne Zusatzkosten über das bereits bestehende Konto des Kontoinhabers hätten ausgeführt werden können, bedarf es keiner Kontokarte und keiner PIN; vielmehr wäre eine Kontovollmacht notwendig, aber auch ausreichend gewesen. Ist der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG -wie hier- bereits aus anderen Gründen erfüllt und kommt es deshalb nicht auf die Vermutungsregel des § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG an, ist es nicht erheblich, ob der Kontoinhaber wusste, dass dem V die Zahlungsunfähigkeit drohte.

Der Rückgewähranspruch richtet sich nach § 11 Abs. 1 AnfG. Dieser ist kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung und daher nicht von der Prüfung abhängig, ob der Anfechtungsgegner (auf Dauer) bereichert ist (Umkehrschluss zu § 11 Abs. 2 AnfG). Allerdings hat der BGH[10] früher vertreten, dass nach Beendigung des „Treuhand“-Verhältnisses durch vollständige Auszahlung des Geldes eine Verpflichtung des früheren „Treuhänders“ zum Wertersatz nur in Betracht komme, wenn er das anfechtbar erlangte Gut zum eigenen Vorteil veräußert, verbraucht oder seinen Wert sich sonst zugeführt habe oder soweit die Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 288, 27 StGB (Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung) oder § 826 BGB vorlägen. Nach der Aufnahme einer Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht in § 11 Abs. 1 Satz 2 AnfG und § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO wurde diese Auffassung aufgegeben[11]. Der Bundesfinanzhof schließt sich insoweit dem Bundesgerichtshof an.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. April 2017 – VII R 31/15

  1. vgl. BFH, Urteil vom 02.11.2010 VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374; Huber, AnfG, 11. Aufl.2016, § 1 Rz 5 ff., 32 ff.[]
  2. vgl. Huber, AnfG, § 1 Rz 42, 49, 52[]
  3. vgl. zu § 7 AnfG a.F., der § 11 AnfG n.F. entspricht, BGH, Urteil vom 09.12 1993 – IX ZR 100/93, BGHZ 124, 298 -insoweit nicht überholt-; BFH, Beschluss vom 17.01.2000 VII B 282/99, BFH/NV 2000, 857; MünchKomm-AnfG/Kirchhof, 2012, § 11 Rz 64[]
  4. vgl. etwa BGH, Urteile vom 26.04.2012 – IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129, Rz 12, für den Fall eines Treuhandanderkontos, d.h. erst recht für ein verdecktes „Treuhandverhältnis“, und in BGHZ 124, 298, Rz 18, insoweit nicht überholt; Huber, AnfG, § 1 Rz 33[]
  5. ebenso BGH, Urteil vom 16.11.2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228, Rz 18; BFH, Beschluss in BFH/NV 2000, 857[]
  6. s.a. Huber, AnfG, § 1 Rz 35; zur Inkongruenz s. Huber, AnfG, § 3 Rz 10 ff.[]
  7. vgl. BFH, Urteil vom 14.07.1981 VII R 49/80, BFHE 133, 501, BStBl II 1981, 751[]
  8. vgl. BGH, Urteil in BGHZ 193, 129, m.w.H.; BGH, Urteil vom 24.01.2013 – IX ZR 11/12, Der Betrieb 2013, 455[]
  9. vgl. Huber, AnfG, § 3 Rz 32 ff.; Haertlein in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl.2015, § 3 AnfG Rz 12 ff., 19; Thole in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl.2016, § 133 Rz 16[]
  10. vgl. BGH, Urteil in BGHZ 124, 298[]
  11. BGH, Urteil in BGHZ 193, 129; bestätigt durch BGH, Urteil vom 10.09.2015 – IX ZR 215/13, DStR 2016, 84[]