Keine Restschuldbefreiung bei verschwiegener Lebensversicherung

Nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO in der bis 30.06.2014 geltenden Fassung (Art. 103h EGInsO) ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten während des Insolvenzverfahrens vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt.

Keine Restschuldbefreiung bei verschwiegener Lebensversicherung

Dabei kann die Restschuldbefreiung wegen der Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners nur versagt werden, wenn die Pflichtverletzung ihrer Art nach geeignet ist, die Befriedigung der Gläubiger zu gefährden, während es nicht darauf ankommt, ob die Befriedigungsaussichten tatsächlich geschmälert worden sind[1].

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Der Wortlaut des Versagungsgrunds verlangt – anders als § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO aF – nicht, dass der Schuldner die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt hat. Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte lässt sich ein solches Erfordernis nicht herleiten[2]. Die Regelungen in § 4c Nr. 4 InsO und § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 InsO, welche die Rechtsbeschwerdebegründung zum Vergleich heranzieht, zeigen keinen Wertungswiderspruch auf.

§ 4c Nr. 4 InsO erlaubt es, die Stundung der Verfahrenskosten aufzuheben, wenn der Schuldner seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt. Für eine solche Maßnahme auf Ebene der Verfahrenskosten besteht kein Bedarf, wenn die Gläubigerbefriedigung nicht beeinträchtigt wird. § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 InsO sieht die Versagung der Restschuldbefreiung vor, wenn der Schuldner zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und Ende der Abtretungsfrist eine seiner Obliegenheiten (§ 295 InsO) verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Eine Obliegenheitsverletzung ist es, wenn der Schuldner bestimmte Bezüge oder Vermögenswerte verheimlicht oder trotz Verlangen keine Auskünfte über Bezüge oder Vermögen erteilt (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Eine Versagung nach diesen Vorschriften tritt jedoch bereits ein, wenn der Schuldner sein fehlendes Verschulden nicht beweisen kann (§ 296 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz InsO). Auch betrifft sie die Zeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, in welcher der Schuldner nicht mehr den strengen Pflichten gemäß §§ 20, 97 InsO unterliegt.

Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseitegeschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung[3]. Die Feststellung dieser Voraussetzungen ist Sache des Tatrichters. Der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt nur, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat[4].

Im hier entschiedenen Fall hat das Beschwerdegericht seiner Beurteilung den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt und keine wesentlichen Umstände außer Acht gelassen. Es hat sich unter anderem auf die Erwägung gestützt, dass der mehrfach über seine Pflichten belehrte Schuldner mit der Anlage zur Vermögensübersicht vom 04.05.2011 über eine aktuelle Aufstellung der Lebensversicherungen verfügte, deren Versicherungsnehmer er war, und dass er unschwer feststellen konnte, dass die nicht abgetretenen Versicherungen nicht zum Vermögen seiner Ehefrau gehörten, weil er dafür die Aufstellung nur mit derjenigen in der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 09.03.2011 hätte vergleichen müssen. Schon diese Erwägung rechtfertigt die Annahme grober Fahrlässigkeit, ohne dass es noch darauf ankommt, ob der Schuldner alte Kontounterlagen durchsehen oder von seiner Ehefrau die Herausgabe von Versicherungspolicen verlangen musste.

Dabei hat das Beschwerdegericht vom Schuldner nicht verlangt, nach jahrelang beitragsfrei gestellten und deshalb „vergessenen“ Lebensversicherungen ohne Anlass zu suchen. Es hat sich vielmehr darauf gestützt, dass der Schuldner seine Versicherungen nur wenige Monate vor dem Eröffnungsverfahren gegenüber seiner Bank angegeben hat.

Das Beschwerdegericht hat den Vortrag des Schuldners zur Kenntnis genommen, wonach die Aufnahme aller Versicherungen in die Vermögensübersicht für die Bank auf deren Wunsch beruht habe, auch Vermögenswerte der Ehefrau und der Kinder anzugeben, und dass der Schuldner diese im Insolvenzverfahren „nicht seinem eigenen Vermögen zugerechnet“ habe. Dieser Vortrag ist aber unerheblich, weil es darauf ankommt, dass der Schuldner Versicherungsnehmer – und damit Rechtsinhaber – war, und dies wusste.

Ein Rechtsirrtum des Schuldners über seine Verpflichtung, auch die Versicherungsverträge mitzuteilen, die der Versorgung seiner Ehefrau dienen sollten oder ein Bezugsrecht für seine Kinder vorsahen, stünde der Annahme grober Fahrlässigkeit nicht entgegen, weil es sich dabei nicht um einen nachvollziehbaren Rechtsirrtum handeln würde[5]. Dem Schuldner musste klar sein, dass die Beurteilung der Verwertbarkeit seiner Versicherungsverträge nicht ihm zustand, sondern dem zur Verwertung der Insolvenzmasse berufenen Insolvenzverwalter[6].

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. Juli 2020 – IX ZB 77/18

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2009 – IX ZB 73/08, WM 2009, 515 Rn. 10 ff; vom 25.06.2015 – IX ZB 60/14, ZVI 2015, 458 Rn. 8[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2009, aaO Rn. 18[]
  3. BGH, Beschluss vom 19.03.2009 – IX ZB 212/08, WM 2009, 857 Rn. 7 mwN; vom 11.04.2013 – IX ZB 170/11, WM 2013, 1030 Rn. 22[]
  4. BGH, Beschluss vom 17.03.2011 – IX ZB 174/08, WM 2011, 760 Rn. 9[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 02.07.2009 – IX ZB 63/08, NJW-RR 2010, 60 Rn. 14[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96 Rn. 8; vom 03.02.2011 – IX ZB 3/10, WuM 2011, 321 Rn. 4; vom 08.03.2012 – IX ZB 70/10, ZInsO 2012, 751 Rn. 17[]