Nach Insolvenzeröffnung sind die Schuldners des Insolvenzschuldners gehalten, ihre Verbindlichkeiten nicht mehr beim Insolvenzschuldner zu begleichen, sondern ausschließlich beim Insolvenzverwalter. Allerdings akzeptiert der Bundesgerichtshofs hier eine Einschränkung:

Haben Unternehmen mit umfangreichem Zahlungsverkehr (im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ein Lebensversicherer) zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an einen Insolvenzschuldner geleistet, ohne dass sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kannten, hindert sie die Möglichkeit, diese Information durch eine Einzelabfrage aus dem Internet unter www.insolvenzbekanntmachungen.de zu gewinnen, nach Treu und Glauben nicht daran, sich auf ihre Unkenntnis zu berufen. Sie sind auch nicht gehalten, sich wegen der Möglichkeit der Internetabfrage beweismäßig für sämtliche Mitarbeiter zu entlasten.
Ein konkretes Organisationsverschulden genügt dabei nicht, so der Bundesgerichtshof, weil § 82 InsO anders als etwa § 115 Abs. 3, § 117 Abs. 3, § 118 InsO nicht auf verschuldete Unkenntnis abstellt.
Jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation ist zu einer verkehrsgerechten Informationsverwaltung verpflichtet. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung, soweit es um die Weitergabe ordnungsgemäß zugegangener Informationen innerhalb der betreffenden Organisationen geht. Eine solche Obliegenheit gilt nicht nur im Bereich der Bankenorganisation, sondern ebenso für Versicherungsunternehmen. Der Bundesgerichtshof hat erwogen, ob auch an die Informationsgewinnung unter neuzeitlichen Verhältnissen höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie mit früheren Zumutbarkeitsschranken vereinbar gewesen sein mögen. Derzeit sieht er dazu jedoch keine Möglichkeiten.
Der Bundesgerichtshof ist in seinem Urteil vom 15. Dezember 2005 davon ausgegangen, dass eine flächendeckende Beobachtung aller Veröffentlichungsblätter im Bundesgebiet, welche die nach § 9 Abs. 1 InsO a.F. vorgeschriebenen Insolvenzbekanntmachungen brachten, die Grenzen des Zumutbaren überschritten hätte. Nach dem Sachvortrag der damaligen Beklagten erschien es jedoch möglich, dass zum Zwecke der Wirtschaftsinformation bei ihr auch das einschlägige Bekanntmachungsblatt des Nachbarkreises gehalten wurde und dann die daraus gewonnenen Erkenntnisse über Insolvenzverfahren innerhalb ihrer Organisation weitergeleitet werden mussten. Hieraus kann die Revision für ihren Standpunkt nichts gewinnen.
Seit dem 1. Dezember 2001 ist für die amtlichen Insolvenzbekanntmachungen die Veröffentlichung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem zugelassen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 InsO), seit dem 1. Juli 2007 besteht ausschließliche Internetpublizität (§ 9 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Wohnsitzland der Schuldnerin, der Freistaat Thüringen, hat sich seit dem 1. August 2004 diesem elektronischen Bekanntmachungssystem angeschlossen. Im Hinblick auf die Nutzung solcher Bekanntmachungen im Rechtsverkehr hat das Oberlandesgericht Rostock in seinem aus anderweitigen Gründen aufgehobenen Urteil vom 19. Juni 2006 die Ansicht vertreten, ein Handelsunternehmen werde durch seine Unkenntnis von der Insolvenzeröffnung gemäß § 82 InsO auch dann entlastet, wenn sie darauf beruhe, dass im Jahre 2004 die Internetbekanntmachungen des zuständigen Insolvenzgerichts nicht abgefragt worden seien.
Eine solche zumutbare Informationsobliegenheit, welche die Berufung des Drittschuldners auf Unkenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 82 InsO nach Treu und Glauben beschränken könnte, lässt sich im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung mit den getroffenen Feststellungen auch für Lebensversicherungen oder andere finanzdienstleistende Unternehmen nicht bejahen. Es ist nicht vorgetragen worden, dass schon zur Zeit der Berufungsverhandlung oder gar zur Zeit der streitigen Zahlung für Unternehmen die Möglichkeit bestand, mit verhältnismäßig geringem Aufwand Insolvenzbekanntmachungen im Internet programmgesteuert mit eigenen Kundendaten abzugleichen und wesentliche Informationen fortlaufend in die eigenen Unternehmensdateien zu übernehmen.
Die vom Gesetzgeber und den Ländern geschaffene Möglichkeit, die Insolvenzbekanntmachungen aus dem Internet auch nach den ersten zwei Wochen im Einzelfall abzufragen, erfordert einen deutlich höheren Zeit- und Personalaufwand, der für den gesamten automatisierten Zahlungsverkehr, aber auch für den Schalterbetrieb der Banken, von vornherein nicht in Betracht kommt. Im Übrigen kann dem Gesetzgeber nicht vorgegriffen werden in der Frage, ob die seit Einführung der Internetbekanntmachung von Insolvenzen erheblich erleichterte Informationsgewinnung über solche Tatsachen Grund genug dafür bietet, den Masseschutz zu Lasten des Verkehrsschutzes in § 82 InsO zu stärken. Für die Verfolgung eines solchen Zwecks ergibt selbst die abermalige Änderung von § 9 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007 nach den Gesetzesmaterialien noch keinen Beleg. Die Rechtsfolge des § 82 Satz 2 InsO ist unverändert geblieben, nach welcher mit der öffentlichen Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Empfängers der Leistung nur die Beweislast für die Unkenntnis dieser Rechtstatsache auf den leistenden Drittschuldner übergeht. Ein weitergehender Regelungswille in der Weise, dass ein Unternehmen, das umfangreichen Zahlungsverkehr zu bewirken hat, sich als Drittschuldner auf Unkenntnis einer im Internet öffentlich bekannt gemachten Insolvenzeröffnung nur berufen darf, wenn es organisatorische Vorkehrungen geschaffen hat, die im Internet zugänglichen Informationen für seine Unternehmenszwecke aufzunehmen und weiterzuverarbeiten, hat das Gesetz bisher nicht zum Ausdruck gebracht. Da die Änderung von § 9 InsO Anlass zur Prüfung dieser Frage gegeben hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gesetz bewusst schweigt und die Zumutbarkeit der Informationsbeschaffung über Insolvenzeröffnungen weiterhin verneint. Die seit seinem Inkrafttreten verbesserte Bekanntmachungsform hat nicht zwangsläufig eine solche Erleichterung der Informationsgewinnung zur Folge, dass im Rechtsverkehr jedenfalls bereichsweise schon eine auf Informationsbeschaffung aus dem Internet zuge-schnittene Betriebsorganisation vorausgesetzt wird.
Wenn diese Entwicklung somit noch zu keinem bestimmten Ergebnis gelangt ist, so hätte einstweilen nur der Gesetzgeber eine Vorschrift schaffen können, nach welcher jedenfalls für bestimmte Drittschuldner die Informationsbeschaffung über Insolvenzeröffnungen aus dem Internet als zumutbar vorausgesetzt und die Berufung auf Unkenntnis nach § 82 InsO demgemäß beschränkt würde. Kann eine entsprechende Lücke im Gesetz nicht festgestellt werden, ist die Rechtsprechung auch nicht befugt, sie im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen.
Der Bundesgerichtshof stellt damit die technische Zugriffsmöglichkeit auf die Internetbekanntmachungen mit derjenigen auf ein im Hause des Drittschuldners gehaltenes Bekanntmachungsblatt nicht auf eine Stufe. Denn der Internetanschluss ist, anders als das Halten eines Bekanntmachungsblattes, kein Ausdruck des Willens, von einem bestimmten Informationsangebot Gebrauch zu machen. Deshalb können beide Fälle auch für den Umfang des Entlastungsbeweises von Drittschuldnern gemäß § 82 Satz 2 InsO nicht gleich behandelt werden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. April 2010 – IX ZR 62/09