Zahlungsunfähigkeit – und ihre Feststellung im Insolvenzstrafverfahren

Der Schuldner ist im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.

Zahlungsunfähigkeit – und ihre Feststellung im Insolvenzstrafverfahren

Die prozessuale Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt sowohl für das Insolvenzverfahren[1] als auch im Insolvenzstraftaten betreffenden Strafverfahren in der Regel durch eine betriebswirtschaftliche Methode, die eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraussetzt[2].

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich das Tatgericht im Strafprozess die Überzeugung (§ 261 StPO) vom Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 InsO auch auf der Grundlage wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen bilden, zu denen etwa das Ignorieren von Rechnungen oder Mahnungen sowie gescheiterte Vollstreckungsversuche gehören[3].

Die auf solche Weise feststellbare Zahlungsunfähigkeit ist allerdings von der bloßen, straftatbestandlich nicht genügenden Zahlungsstockung abzugrenzen[4]. Dazu muss zusätzlich zur stichtagsbezogenen Gegenüberstellung eine Prognose erstellt werden, ob innerhalb einer Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder Veräußerung von Vermögensgegenständen[5].

Zwar setzt die Fälligkeit von Forderungen, zu deren vollständiger Erfüllung der Schuldner wegen Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt oder innerhalb angemessener Frist nicht mehr in der Lage ist, voraus, dass – über die Fälligkeit i.S.v. § 271 BGB hinaus – die geschuldete Leistung „ernsthaft eingefordert“ wird. Dies ist der Fall, wenn eine Handlung des Gläubigers gegeben ist, aus der sich der Wille ergibt, die Erfüllung möglicher Zahlungsansprüche zu verlangen[6]. Dieses Einfordern, an das ohnehin keine hohen Anforderungen zu stellen sind[7], ergibt sich bereits aus dem Umstand des jeweils erfolgreichen Einklagens der Forderungen, das zu rechtskräftigen Entscheidungen darüber geführt hat. Wird eine geltend gemachte Forderung rechtskräftig zugesprochen, besteht diese von Anfang an und ist deshalb bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen[8]. Die materielle Berechtigung entsprechend titulierter Forderungen ist zwar grundsätzlich nicht im Insolvenzverfahren zu prüfen[9], sondern außerhalb dessen geltend zu machen. Sind solche Forderungen, wie die hier fraglichen Schadensersatzansprüche, aber rechtskräftig zuerkannt und kann deshalb aus ihnen sogleich vollstreckt werden, müssen sie bei der Bewertung der Zahlungsunfähigkeit berücksichtigt werden. Auf die materielle Richtigkeit der zugrunde liegenden Urteile kommt es dann im Hinblick auf das Krisenmerkmal nicht an. Die von der Revision vertretene Auffassung, die Strafgerichte müssten selbst bei rechtskräftig zuerkannten Forderungen deren materielle Berechtigung eigenständig prüfen, geht sowohl an den insolvenzrechtlichen Anforderungen des § 17 Abs. 2 InsO als auch dem Schutzzweck des § 283 StGB vorbei.

Dem Vorhandensein von Vermögen kommt für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit als Geldilliquidität lediglich im Rahmen der Prognose über die kurzfristig mögliche Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit Bedeutung zu.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 1 StR 605/16

  1. vgl. nur BGH, Urteil vom 12.10.2017 – – IX ZR 50/15, NJW 2018, 396, 398[]
  2. BGH, Beschlüsse vom 12.04.2018 – 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f. mwN sowie vom 16.05.2017 – 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498[]
  3. BGH, Beschlüsse vom 21.08.2013 – 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165; vom 23.07.2015 – 3 StR 518/14, NStZ-RR 2015, 341, 342; und vom 12.04.2018 – 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f. jeweils mwN[]
  4. siehe nur BGH, Beschluss vom 12.04.2018 – 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f.; näher Radtke/Petermann in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 77 mwN[]
  5. BGH, Beschlüsse vom 21.08.2013 – 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165; und vom 12.04.2018 – 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f.[]
  6. BGH, Beschlüsse vom 19.07.2007 – – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286, 293; und vom 16.05.2017 – 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498[]
  7. BGH, Beschluss vom 16.05.2017 – 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498[]
  8. siehe nur Ch. Brand in Bittmann [Hrsg.], Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl., § 12 Rn. 46 mwN[]
  9. siehe nur BGH, Beschluss vom 23.06.2016 – – IX ZB 18/15, DB 2016, 1929, 1930 f. mwN[]