Entschädigungsklage wegen unangemessen langer Verfahrensdauer – und die Insolvenzeröffnung

Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen (§ 198 Abs. 5 Satz 3 GVG, § 851 Abs. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 Satz 1, § 80 Abs. 1 InsO, § 240 Satz 1 ZPO) werden Entschädigungsklageverfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers nicht unterbrochen. Ob eine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs des § 240 Satz 1 ZPO geboten ist, brauchte der Bundesfinanzhof hier nicht zu entscheiden.

Entschädigungsklage wegen unangemessen langer Verfahrensdauer – und die Insolvenzeröffnung

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall begehrt der Kläger gemäß § 198 GVG Entschädigung wegen der aus seiner Sicht unangemessenen Dauer zweier Klageverfahren, die seit dem 25.02.2019 beim Thüringer Finanzgericht anhängig sind und am 06.04.2021 wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers unterbrochen worden sind, ohne bisher aufgenommen worden zu sein. Der Bundesfinanzhof kann offenlassen, ob die Entschädigungsklageverfahren aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers überhaupt unterbrochen waren. Jedenfalls wäre eine eventuelle Unterbrechung zwischenzeitlich beendet worden, sodass den Entschädigungsklageverfahren Fortgang zu geben ist.

Aus den rechtlichen Regelungen über den Entschädigungsanspruch und das Insolvenzverfahren ließe sich ableiten, dass Entschädigungsklageverfahren nicht von der Unterbrechungswirkung des § 240 Satz 1 ZPO erfasst werden.

Der Eintritt der Rechtsfolge des § 240 Satz 1 ZPO setzt u.a. voraus, dass das jeweilige gerichtliche Verfahren „die Insolvenzmasse betrifft“. Gemäß § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ist ein Entschädigungsanspruch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Entschädigungsklage nicht übertragbar. Daraus folgt, dass er bis zu diesem Zeitpunkt auch unpfändbar ist (§ 851 Abs. 1 ZPO). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören aber nicht zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung -InsO-). Nur in Bezug auf die Insolvenzmasse geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Erst nach der rechtskräftigen Entscheidung über den Entschädigungsanspruch gelten die allgemeinen Vorschriften zur Übertragbarkeit, Aufrechenbarkeit[1], Pfändbarkeit und damit auch zum Insolvenzbeschlag.

In der Praxis wäre diese Betrachtung in Bezug auf Entschädigungsforderungen allerdings mit erheblichen Friktionen verbunden. Im ersten Schritt müsste das -nicht unterbrochene- Entschädigungsklageverfahren auch während des Insolvenzverfahrens vom nicht zahlungsfähigen Schuldner persönlich, auf sein Risiko und auf seine Kosten geführt werden. Sobald diesem aber eine Entschädigung rechtskräftig zugesprochen würde, könnte der Insolvenzverwalter sein nunmehr bestehendes Verwaltungs- und Verfügungsrecht hinsichtlich der Entschädigungsforderung ausüben. Angesichts dessen wäre es für den Schuldner weitestgehend sinnlos, ein solches Entschädigungsklageverfahren fortzuführen.

Der Bundesfinanzhof muss diese Frage, ob im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Problematik eine erweiternde Auslegung des Anwendungsbereichs des § 240 Satz 1 ZPO geboten ist, vorliegend nicht entscheiden, da eine eventuelle Unterbrechungswirkung zwischenzeitlich jedenfalls beendet worden wäre. Bei den vorliegenden Entschädigungsklageverfahren handelt es sich um Aktivprozesse, in denen -falls sie durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen worden sein sollten- der Insolvenzverwalter das erste Recht zur Aufnahme gehabt hätte (§ 85 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nachdem dieser die Aufnahme abgelehnt hatte, lag das Recht zur Aufnahme der Verfahren gemäß § 85 Abs. 2 InsO u.a. beim Beklagten. Dieser hat am 18.02.2022 die Aufnahme erklärt, sodass die Verfahren jedenfalls seit diesem Zeitpunkt fortzuführen sind.

 

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. November 2022 – X K 1 – 2/21

  1. dazu ausführlich BGH, Urteil vom 07.11.2019 – III ZR 17/19, BGHZ 224, 20[]