Der Insolvenzantrag des Finanzamts – wegen Umsatzsteuerschulden

Stützt das Finanzamt den Insolvenzantrag auf Steuerforderungen, die sich – etwa bei Lohn- und Umsatzsteuer – aus Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners ergeben, genügt zur Glaubhaftmachung die genaue Aufstellung der einzelnen Steueranmeldungen und Steuervoranmeldungen zusammen mit der Erklärung des Finanzamts, dass es sich dabei um Forderungen aus entsprechenden (Vor-)Anmeldungen des Schuldners handele.

Der Insolvenzantrag des Finanzamts – wegen Umsatzsteuerschulden

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall beantragte das Finanzamt im Februar 2022, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen. Mit dem Antrag reichte das Finanzamt eine im Einzelnen nach Steuerart, Zeitraum der Steuer, Fälligkeit und Höhe gegliederte Aufstellung der offenstehenden Forderungen aus Lohnsteuer und Umsatzsteuer nebst Verspätungs- und Säumniszuschlägen sowie Vollstreckungskosten über insgesamt 99.004, 63 € ein. Ferner erklärte es, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen gegeben und die in der Aufstellung enthaltenen Abgabenrückstände unanfechtbar festgesetzt seien. Vollstreckungsmaßnahmen seien erfolglos gewesen, ein Pfändungsversuch in bewegliche Sachen sei am 11.11.2021 fruchtlos verlaufen.

Das Amtsgericht Dessau-Roßlau -Insolvenzgericht- hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen[1]. Die sofortige Beschwerde des Finanzamtes hat das Landgericht Dessau-Roßlau zurückgewiesen[2]. Das Landgericht Dessau-Roßlau hat den Antrag für unzulässig gehalten, weil dem Erfordernis der Glaubhaftmachung der Insolvenzforderung durch Einreichung des Originals oder einer beglaubigten Abschrift des Festsetzungsbescheids und einer Vollstreckbarkeitserklärung nicht genügt sei. Für die Finanzverwaltung bestehe die vereinfachte Möglichkeit, eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarkeitserklärung zu übersenden. Eine noch weitere Vereinfachung werde durch die gesetzlichen Regelungen und die Rechtsprechung nicht gedeckt.

Mit der vom Landgericht Dessau-Roßlau zugelassenen Rechtsbeschwerde will das Finanzamt weiterhin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erreichen und hat vor dem Bundesgerichtshof Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob die amts- und landgerichtlichen Beschlüsse auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht Dessau-Roßlau, denn mit der vom Landgericht Dessau-Roßlau gegebenen Begründung könne die Glaubhaftmachung der Forderung des Finanzamts nicht verneint werden:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Insolvenzantrag eines Finanzamts, der auf Steuerforderungen gestützt wird, als Mindesterfordernis die Vorlage der ergangenen Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaiger Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners voraus[3]. Ein bloßer Kontoauszug des sachbearbeitenden Finanzamts ist eine interne Verwaltungshilfe und als Mittel der Glaubhaftmachung grundsätzlich nicht ausreichend[4]. Es gibt keinen Rechtssatz, dass Kontoauszüge öffentlich-rechtlicher Rechtsträger zuverlässiger sind als diejenigen anderer Gläubiger[5].

An dem Erfordernis der Glaubhaftmachung der Forderung durch den Gläubiger ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch im Fall der Antragstellung durch das Finanzamt nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck der Vorschriften des § 14 Abs. 1 und 2 InsO festzuhalten.

Das Gesetz bestimmt für das durch den Insolvenzantrag eines Gläubigers eingeleitete Eröffnungsverfahren in § 14 InsO, dass das Gericht zunächst die Zulässigkeit des Gläubigerantrags zu prüfen hat und die Anhörung des Schuldners gemäß § 14 Abs. 2 InsO nur erfolgen muss, wenn der Antrag zulässig ist. Hierzu prüft das Insolvenzgericht die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Gläubigerantrags ausschließlich anhand der Angaben des Antragstellers und der von ihm vorgelegten Unterlagen[6]. Die Amtsermittlungspflicht gemäß § 5 InsO greift erst ein, wenn ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt[7]. Wie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 14 Abs. 1 und 2 InsO), ist der Schuldner zu dem Insolvenzantrag erst dann zu hören, wenn der Gläubiger unter anderem seine Forderung glaubhaft gemacht hat[8]. Dieser Verfahrensabschnitt ist der Eröffnung eigens vorgeschaltet, um den Schuldner vor den schweren Nachteilen zu bewahren, welche eine schematische Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Regel mit sich bringen würde, auch wenn alsbald seine Einstellung erfolgte[9].

Anders als das Landgericht Dessau-Roßlau meint, ist das Finanzamt jedoch nicht gehalten, eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarkeitserklärung zu übersenden. An die Glaubhaftmachung der Forderungen der Finanzbehörden als öffentlich-rechtliche Hoheitsträger sind keine nach dem Zweck des Gesetzes nicht veranlassten formalen Anforderungen zu stellen[10]. Vielmehr genügt die Vorlage eines Steuerbescheides zur Glaubhaftmachung einer Steuerforderung auch dann, wenn dieser weder unterschrieben noch mit einem Dienstsiegel versehen ist. Ein formularmäßig oder mithilfe automatischer Einrichtungen erlassener Verwaltungsakt bedarf nach § 119 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 AO keiner Unterschrift[11]. Da insbesondere die Schriftform des § 157 AO auch gewahrt ist bei Übersendung einer Bescheidskopie[12], ist zum Zwecke der Insolvenzantragstellung keine (nachträgliche) Unterschrift oder gar Siegelung zu verlangen.

Die von der Rechtsbeschwerde angeführten BGH-Entscheidungen zur Entbehrlichkeit der Glaubhaftmachung betreffen Fälle, in denen der Schuldner im Eröffnungsverfahren zum Eröffnungsantrag Stellung genommen hat und sind daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig. In dem dem Beschluss vom 11.06.2015[13] zugrundeliegenden Verfahren hatte das Amtsgericht den Eröffnungsantrag des Gläubigers nach Anhörung des Schuldners, der sich nicht äußerte, als unzulässig abgewiesen. Den weiteren von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidungen ist gemeinsam, dass dort das Amtsgericht das Insolvenzverfahren eröffnet hatte und der Schuldner Rechtsmittelführer war[14]. Hier ist eine Glaubhaftmachung der Forderung durch das Finanzamt ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn die ausstehenden Steuern genau beschrieben sind und der Schuldner sich lediglich auf Erlassanträge und Gegenansprüche beruft[15], die Forderung als solche also unstreitig ist. Denn der Begriff der Glaubhaftmachung in § 14 Abs. 1 InsO entspricht demjenigen des § 294 ZPO, weshalb der Gläubiger wie auch sonst bei § 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen nicht glaubhaft machen muss, wenn sie unstreitig sind[16].

Stützt das Finanzamt den Insolvenzantrag auf Steuerforderungen, die sich – etwa bei Lohn- und Umsatzsteuer – aus Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners ergeben, genügt entgegen der Auffassung des Landgerichts Dessau-Roßlau allerdings statt der Vorlage die genaue Aufstellung der einzelnen Steueranmeldungen und Steuervoranmeldungen zusammen mit der Erklärung des Finanzamts, dass es sich dabei um Forderungen aus entsprechenden (Vor-)Anmeldungen des Schuldners handele, die dieser später nicht korrigiert habe.

Eine Steueranmeldung steht gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Ist eine Steuer aufgrund gesetzlicher Verpflichtung anzumelden (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO), so ist eine Festsetzung der Steuer nach § 155 AO nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt oder der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO). Steueranmeldungen sind unter anderem gesetzlich vorgeschrieben für die Umsatzsteuer (Voranmeldung, Jahreserklärung, § 18 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 9 UStG, Sondervorauszahlung, § 48 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 UStDV) und Lohnsteuer (§ 41a EStG). Wegen ihrer Wirkung eines Steuerbescheids bildet die Steueranmeldung die Grundlage für die Erhebung und Vollstreckung der Steuer[17]. Da ein Schuldner mit der entsprechenden Steuer(vor-)anmeldung selbst erklärt, die sich daraus ergebenden Beträge zu schulden, und hierzu in der Regel kein gesonderter Steuerbescheid ergeht, genügt es für die Glaubhaftmachung solcher Steuerforderungen, wenn das Finanzamt in seinem Antrag die entsprechenden (Vor-)Anmeldungen im Einzelnen darlegt.

In diesem Fall ist für die Glaubhaftmachung der Forderung erforderlich, dass das antragstellende Finanzamt die ausstehenden Steuern im Einzelnen nach Grund, Zeitraum und Betrag beschreibt und zudem glaubhaft macht, dass der Schuldner eine entsprechende Steuer(vor-)anmeldung zu den wie vorstehend beschrieben aufgeschlüsselten Steuern abgegeben hat. Denn die Glaubhaftmachung der Forderung dient der Legitimation des antragstellenden Gläubigers[18]. Bei der Würdigung der Angaben des Finanzamts im Zulassungsverfahren kann nicht ausgeblendet werden, ob auf der Grundlage seiner Darstellung anspruchsbegründende Tatsachen im Rahmen der vorgerichtlichen Korrespondenz mit dem Schuldner außer Streit standen[19]. Das Finanzamt kann deshalb den Bestand seiner sich aus Steuer(vor-)anmeldungen des Schuldners ergebenden Forderung auch dadurch glaubhaft machen, dass bestimmte, dann im Einzelnen zu bezeichnende Forderungen vom Schuldner selbst erklärt worden sind. In einem solchen Fall bedingt die Überprüfung der Legitimation des Finanzamts nicht die Vorlage von (Vor-)Anmeldungen oder hinsichtlich der (Vor-)Anmeldungen ergangener Steuerbescheide, aus denen sich die bereits genau beschriebene Steuerforderung auch in formaler Hinsicht ergibt. Der Schuldner ist nach Bewertung des Eröffnungsantrags als zulässig nicht daran gehindert, das zulässigkeitsbegründende Vorbringen des Gläubigers durch geeigneten Vortrag nachträglich infrage zu stellen[20].

Das Landgericht Dessau-Roßlau hat zu diesen Voraussetzungen keine Feststellungen getroffen, obgleich sich das Finanzamt in den Tatsacheninstanzen durchgängig auf das Vorliegen eines Ausnahmefalls berufen und geltend gemacht hat, die Schuldnerin habe die in vollem Umfang unanfechtbar festgesetzten und nach Steuerart, Zeitraum, Fälligkeit und Betrag genau aufgelisteten Forderungen aus Umsatzsteuer- und Lohnsteuer(vor-)anmeldungen „bisher“ – gemeint also: vor der Stellung des Insolvenzantrags, weil die Schuldnerin in den Tatsacheninstanzen nicht angehört wurde – nicht bestritten.

Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene abschließende Entscheidung ist dem Bundesgerichtshof nicht möglich; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 572 Abs. 3 ZPO analog; vgl. BGH, Beschluss vom 21.02.2019 – IX ZB 7/17, NZI 2019, 457 Rn. 24 mwN), das die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen haben wird. Insoweit ist die Erwägung des Landgerichts Dessau-Roßlau, dass das vorgelegte Protokoll einer fruchtlosen Pfändung zur Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrunds im konkreten Fall ausreicht, rechtlich nicht zu beanstanden[21].

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. September 2024 – IX ZB 13/22

  1. AG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 09.03.2022 – 2 IN 38/22[]
  2. LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 07.04.2022 – 8 T 58/22[]
  3. BGH, Beschluss vom 13.06.2006 – IX ZB 214/05, NZI 2006, 590 Rn. 9; vom 15.12.2011 – IX ZB 180/11, NZI 2012, 95 Rn. 3; vom 12.07.2012 – IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rn. 7[]
  4. BGH, Beschluss vom 13.06.2006, aaO; vom 21.07.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 Rn. 4; vom 15.12.2011, aaO; Pape in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 14 Rn. 124[]
  5. vgl. Henckel, ZIP 2000, 2045, 2047[]
  6. Nissen/Beuck in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 3. Aufl., Kap. 4 Rn. 86[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 207[]
  8. BGH, Beschluss vom 08.12.2005 – IX ZB 38/05, NZI 2006, 172 Rn. 10; in diesem Sinne auch Jaeger/Gerhardt, InsO, § 14 Rn. 32[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 03.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18, 21 zu § 105 KO[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 08.12.2005 – IX ZB 38/05, NZI 2006, 172 Rn. 3; Pape in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 14 Rn. 124, 127[]
  11. vgl. dazu BFH BFH/NV 2014, 294 Rn. 3; Klein/Ratschow, AO, 17. Aufl., § 119 Rn. 60[]
  12. Krömker in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 2023, § 157 AO Rn. 4; Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 2012, § 157 AO Rn. 2[]
  13. BGH, Beschluss vom 11.06.2015 – IX ZB 76/13, NZI 2015, 755[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 09.07.2009 – IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rn. 1; vom 21.07.2011 – IX ZB 256/10, ZIP 2011, 1971 Rn. 1; vom 15.12.2011 – IX ZB 180/11, NZI 2012, 95 f 1[]
  15. BGH, Beschluss vom 09.07.2009, aaO Rn. 3; vom 21.07.2011 aaO Rn. 4; vom 15.12.2011, aaO Rn. 3[]
  16. vgl. BGH, Beschluss vom 11.06.2015, aaO Rn. 9 mwN; Pape in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 14 Rn. 113[]
  17. Tipke/Kruse/Seer, AO/FGO, 2022, § 168 AO Rn. 1; Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 168 Rn. 2[]
  18. vgl. MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 14 Rn. 70[]
  19. vgl. Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 14 Rn. 28[]
  20. BGH, Beschluss vom 13.06.2006 – IX ZB 214/05, NZI 2006, 590 Rn. 6[]
  21. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23.10.2008 – IX ZB 7/08, WuM 2009, 144 Rn. 3; Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 14 Rn. 49[]