Die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit durch das Finanzamt

Zur Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrunds der Zahlungsunfähigkeit durch das Finanzamt kann es ausreichen, wenn der wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft bereits im Schuldnerverzeichnis eingetragene Schuldner auf rückständige Steuern in fünfstelliger Höhe seit mehreren Jahren keine Zahlung mehr geleistet hat, eine Kontenpfändung nur zu einer geringen Zahlung führt und der Schuldner erklärt, keine Einnahmen zu haben.

Die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit durch das Finanzamt

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall beantragte das Finanzamt im Februar 2022 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Mit dem Antrag reichte das Finanzamt eine im Einzelnen nach Steuerart, Zeitraum der Steuer, Fälligkeit und Höhe gegliederte Aufstellung der offenstehenden Forderungen aus Einkommen- und Umsatzsteuer nebst Verspätungs- und Säumniszuschlägen sowie Verzögerungsgeld und Vollstreckungskosten über insgesamt 44.762, 48 € ein. Weiter erklärte es, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen gegeben seien und legte die gegen den Schuldner ergangenen Steuerbescheide vor. 

Das Amtsgericht Dessau-Roßlau -Insolvenzgericht-  hat den Antrag des Finanzamtes als unzulässig zurückgewiesen[1]. Die sofortige Beschwerde des Finanzamts hat vor dem Landgericht Dessau-Roßlau ebenfalls keinen Erfolg gehabt[2]. Das Landgericht Dessau-Roßlau hat den Antrag für unzulässig gehalten, weil das Finanzamt die bestehenden Forderungen mittels einer Übersicht zwar ausreichend dargelegt, aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht habe. Mit dem Antrag sei entweder ein vollstreckbarer Titel oder eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarerklärung vorzulegen. Insbesondere für die Finanzverwaltung bestehe eine vereinfachte Möglichkeit, eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarkeitserklärung zu übersenden. Eine weitere Vereinfachung werde durch die gesetzlichen Regelungen und die Rechtsprechung nicht gedeckt. Auch der Eröffnungsgrund sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die Darlegungen, der Schuldner habe die Forderungen nicht beglichen, rechtfertigten nicht die Annahme, dass dieser nicht nur zahlungsunwillig, sondern auch zahlungsunfähig sei.

Mit der vom Landgericht Dessau-Roßlau zugelassenen Rechtsbeschwerde hatte das Finanzamt nun vor dem Bundesgerichtshof Erfolg. Die Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht; mit der vom Landgericht Dessau-Roßlau gegebenen Begründung könne die Glaubhaftmachung der Forderung des Gläubigers und des Eröffnungsgrunds nicht verneint werden:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Insolvenzantrag eines Finanzamts, der auf Steuerforderungen gestützt wird, als Mindesterfordernis die Vorlage der ergangenen Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaiger Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners voraus[3]. Ein bloßer Kontoauszug des sachbearbeitenden Finanzamts ist eine interne Verwaltungshilfe und als Mittel der Glaubhaftmachung grundsätzlich nicht ausreichend[4]. Es gibt keinen Rechtssatz, dass Kontoauszüge öffentlich-rechtlicher Rechtsträger zuverlässiger sind als diejenigen anderer Gläubiger[5].

An dem Erfordernis der Glaubhaftmachung durch den Gläubiger ist nach dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Vorschriften des § 14 Abs. 1 und 2 InsO weiterhin festzuhalten. Indessen ist zum Zwecke der Insolvenzantragstellung keine Unterschrift oder gar Siegelung zu verlangen[6].

Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte das Landgericht Dessau-Roßlau Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Forderung durch Vorlage von Bescheiden glaubhaft gemacht ist. Auf die Beanstandung durch das Amtsgericht hat der Gläubiger die Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Verspätungszuschlag und Zinsen für 2017, 2018 und 2019, den Bescheid über Umsatzsteuer, Zinsen und Verspätungszuschlag für 2019, die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für die Monate Januar 2020 bis Oktober 2021 und den Bescheid über die Festsetzung von Verzögerungsentgelt vorgelegt. Obgleich zu der in der Antragsschrift unter den laufenden Nummern 5 bis 10 ebenfalls verzeichneten Einkommensteuer für das dritte und vierte Quartal 2020 und für 2021 keine Bescheide vorgelegt worden sind, hätte das Amtsgericht zu den vorgelegten Bescheiden Feststellungen treffen müssen. Die Glaubhaftmachung eines Teilbetrags einer Forderung[7] oder einer von mehreren behaupteten Forderungen kann genügen.

Darüber hinaus bedarf es entgegen der Auffassung des Landgerichts Dessau-Roßlau zur Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrunds im Streitfall nicht der Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers oder Vollstreckungsbeamten oder des Protokolls der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Schuldners. 

Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds erfordert nicht unbedingt die Vorlage einer Bescheinigung über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch oder der Erklärung des Finanzamts, erfolglos gegen den Steuerschuldner vollstreckt zu haben. Der antragstellende Gläubiger kann den Eröffnungsgrund auch auf andere Weise glaubhaft machen[8]. Die schlichte Nichtbegleichung einer unbestrittenen Forderung kann im Einzelfall eine weitere Glaubhaftmachung entbehrlich machen[9]. Ein Indiz für die fehlende Zahlungsfähigkeit kann sein, wenn der Schuldner auf Zahlungsaufforderungen durch das Finanzamt nicht reagiert und dem angekündigten Vollstreckungsversuch weder entgegentritt noch den Zugang zur Wohnung ermöglicht[10].

Der Gläubiger hat insoweit im Wesentlichen vorgetragen, ab dem 13.10.2020 sei beim Schuldner Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Am 12.10.2020 sei aufgrund einer Kontenpfändung letztmals eine Zahlung in Höhe von 2.230, 70 € eingegangen, welche jedoch in keinem Verhältnis zum Gesamtbetrag der Rückstände in Höhe von 44.762, 48 € stehe. Auf die Beanstandung des Amtsgerichts hat der Gläubiger darüber hinaus erläutert, bei einer Anschlusspfändung am 3.12.2020 habe es kein pfändbares Guthaben auf diesem Konto mehr gegeben. Der Schuldner habe erklärt, selbst keine Einnahmen mehr zu haben. Auf eine Ladung des Schuldners sei verzichtet worden, weil bereits drei Einträge aus dem Jahr 2021 im Schuldnerverzeichnis wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft vorlägen und der Schuldner dem Vollziehungsbeamten den Kontakt verwehre.

Mit diesem Vorbringen, das eine weitere Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrunds entbehrlich machen kann, hat sich die Vorinstanz nicht befasst. Die Erwägung des Landgerichts Dessau-Roßlau, die dargelegte Nichtbegleichung der Forderungen rechtfertige nicht die Annahme, dass der Schuldner nicht zahlungsunwillig, sondern zahlungsunfähig sei, blendet wesentliche Gesichtspunkte aus. Insbesondere ist das Landgericht Dessau-Roßlau nicht auf die behaupteten Umstände eingegangen, dass letztmals am 12.10.2020 aufgrund einer Kontenpfändung in geringer Höhe habe vollstreckt werden können und der Schuldner selbst erklärt habe, keine Einnahmen mehr zu haben. Das Landgericht Dessau-Roßlau hat im Einzelnen zu prüfen und zu würdigen, ob für die von dem Gläubiger behauptete Tatsache eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Würdigung ist zu begründen. Die angestellten Erwägungen müssen zumindest deutlich machen, dass auf der Grundlage des zutreffenden Maßstabes die wesentlichen Umstände abgewogen worden sind[11]. Daran fehlt es hier. 

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Dessau-Roßlau konnte daher keinen Bestand haben und wurde vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Eine eigene abschließende Entscheidung war dem Bundesgerichtshof nicht möglich, sodass die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückverwiesen wurde (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 572 Abs. 3 ZPO analog)[12], das die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen haben wird.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. September 2024 – IX ZB 14/22

  1. AG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 11.03.2022 – 2 IN 35/22[]
  2. LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 07.04.2022 – 8 T 63/22[]
  3. BGH, Beschluss vom 13.06.2006 – IX ZB 214/05, NZI 2006, 590 Rn. 9; vom 15.12.2011 – IX ZB 180/11, NZI 2012, 95 Rn. 3; vom 12.07.2012 – IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rn. 7[]
  4. BGH, Beschluss vom 13.06.2006 aaO; vom 21.07.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 Rn. 4; vom 15.12.2011, aaO; Pape in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 14 Rn. 124[]
  5. vgl. Henckel, ZIP 2000, 2045, 2047[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2024 – IX ZB 13/22[]
  7. BGH, Beschluss vom 05.02.2004 – IX ZB 29/03, NZI 2004, 587, 588[]
  8. BGH, Beschluss vom 23.10.2008 – IX ZB 7/08, WuM 2009, 144 Rn. 3[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 28.04.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 5[]
  10. BGH, Beschluss vom 12.07.2012 – IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rn. 9[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 21.10.2010 – V ZB 210/09, NJW-RR 2011, 136 Rn. 8[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 21.02.2019 – IX ZB 7/17, NZI 2019, 457 Rn. 24 mwN[]