Die Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit – und der unklare Verbleib der PKW

Das Hauptzollamt trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der Massezugehörigkeit, wenn es gegen einen Insolvenzverwalter Kraftfahrzeugsteuer für ein auf den Insolvenzschuldner zugelassenes Fahrzeug festsetzt.

Die Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit – und der unklare Verbleib der PKW

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall ist streitig, ob Kraftfahrzeugsteuer zu Recht als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO festgesetzt worden ist. Die 2012 gegründete Insolvenzschuldnerin betrieb einen Einzelhandel mit und eine Vermietung von Personenkraftwagen. Herr D war ab ihrer Gründung einer von mehreren, seit dem 11.04.2017 dann alleiniger Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin. Im April 2018  wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet. Die 23 Fahrzeuge, für die die streitige Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt wurde, waren zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung auf die Insolvenzschuldnerin als Halterin zugelassen.

Das Hauptzollamt setzte für diese 23 Fahrzeuge gegenüber dem Insolvenzverwalter die jährliche Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit ab Insolvenzeröffnung fest. Der Insolvenzverwalter legte hiergegen jeweils Einspruch ein mit der Begründung, dass die Fahrzeuge nicht in seinem Besitz und ihm die Besitz- und Eigentumsverhältnisse an den Fahrzeugen unbekannt seien. Er legte eine Auskunft des D vor, wonach dieser für die meisten Fahrzeuge vom Vorliegen eines Diebstahls oder einer Unterschlagung ausging. Im Mai 2018 zeigte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. Das Hauptzollamt erließ daraufhin zum einen unter den bisher für die 23 Fahrzeuge im Insolvenzverfahren vergebenen Steuernummern geänderte Kraftfahrzeugsteuerbescheide, mit denen es die jährliche Steuer anteilig für den Zeitraum von Insolvenzeröffnung bis zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit als Altmasseverbindlichkeit festsetzte. Zum anderen setzte das Hauptzollamt für dieselben 23 Fahrzeuge gegenüber dem Insolvenzverwalter jeweils unter einer neuen Steuernummer eine jährliche Steuer für die nachfolgende Zeit als Neumasseverbindlichkeit fest. Der Insolvenzverwalter legte auch gegen die Bescheide über die als Neumasseverbindlichkeit festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer jeweils Einspruch ein.

In seiner Einspruchsentscheidungen wies das Hauptzollamt die Einsprüche des Insolvenzverwalters gegen die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit als unbegründet zurück. Die Insolvenzschuldnerin sei als Halterin der Fahrzeuge eingetragen. Der Insolvenzverwalter trage daher die Feststellungslast dafür, dass diese Fahrzeuge nicht zur Insolvenzmasse gehörten. Entsprechende Nachweise habe der Insolvenzverwalter für die 23 Fahrzeuge jedoch nicht erbracht. Die gegen die Kraftfahrzeugsteuer-Festsetzungen gerichteten Klagen verband das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zu einem Klageverfahren und wies diese Klage als unbegründet ab[1]. Das Hauptzollamt habe zu Recht für die 23 Fahrzeuge Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO festgesetzt. Hierfür sei maßgebend, dass das Fahrzeug, für das die Steuer festgesetzt werde, Teil der Insolvenzmasse sei. Diese Voraussetzung sei erfüllt. Der Insolvenzverwalter habe nicht nachweisen können, dass die Kraftfahrzeuge nicht zur Masse gehörten. Zwar habe das Hauptzollamt keine Ermittlungen zum Sachverhalt angestellt und sich allein auf die Zulassung und die Haltereigenschaft berufen, obwohl das Hauptzollamt grundsätzlich die Feststellungslast für steuererhöhende Tatsachen trage. Allerdings hätte es wegen der Beweisnähe des Insolvenzverwalters allein diesem oblegen, zureichende Anhaltspunkte gegen eine Masseeigenschaft vorzutragen. Dem sei der Insolvenzverwalter weder nach insolvenzrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Maßstäben nachgekommen.

Auf die hiergegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters hob der Bundesfinanzhof das finanzgerichtliche Urtiel auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg. Das Finanzgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegen den Insolvenzverwalter bei Anwendung der Regeln über die Feststellungslast, die nur nachrangig anzuwenden sind, im vorliegenden Fall zulasten des Insolvenzverwalters als erfüllt anzusehen sind:

Auch Kraftfahrzeugsteuer kann als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegen den Insolvenzverwalter als Steuerschuldner festzusetzen sein.

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter über, der als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, soweit seine Verwaltung reicht[2].

Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründete Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Später begründete Steueransprüche sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO Masseverbindlichkeiten[3]. Alle sonstigen Ansprüche sind insolvenzfrei[4].

Der Insolvenzverwalter ist als Vermögensverwalter Steuerpflichtiger und damit richtiger Bekanntgabe- und Inhaltsadressat von Steuerbescheiden, mit denen eine Finanzbehörde bestehende Masseverbindlichkeiten geltend macht. Demgegenüber sind Steuerforderungen, die sich nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners richten, gegen den Insolvenzschuldner selbst festzusetzen[5].

Zu den Masseverbindlichkeiten gehören gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

Die nach der Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist als Abgabenforderung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO den „in anderer Weise“ durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betrifft. Dies ist der Fall, wenn die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Abgabenforderung selbst einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweist[6].

Im Streitfall liegen zwar nach Insolvenzeröffnung entstandene Verbindlichkeiten vor. Denn Steuergegenstand der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen[7]. Die Steuerpflicht dauert gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bei einem inländischen Fahrzeug -auch im Falle der Insolvenz des Halters- so lange an, wie das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist[8].

Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer weist aber nur dann einen Bezug zur Insolvenzmasse auf und ist Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Kraftfahrzeugsteuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegt[9]. Denn der Insolvenzverwalter kann dann über die Art und Weise der Verwendung oder Verwertung des Fahrzeugs bestimmen und gegebenenfalls verhindern, dass weiterhin Kraftfahrzeugsteuer entsteht, indem er das Fahrzeug veräußert oder außer Betrieb setzt und der Zulassungsbehörde dies anzeigt[10]. Maßgebend ist danach, ob das Fahrzeug (tatsächlich/körperlich) Teil der Insolvenzmasse ist[11].

Zur Insolvenzmasse wird gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen gerechnet, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die Insolvenzmasse umfasst die Soll- und die Istmasse. Während die Sollmasse die Summe einzelner geldwerter (körperlicher und unkörperlicher) Rechtsgegenstände darstellt, die von Rechts wegen vom Insolvenzbeschlag erfasst und den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen sind, umfasst die Istmasse alle Gegenstände, die der Insolvenzverwalter tatsächlich in Besitz nimmt[12].

Der Sollmasse und der Istmasse gemeinsam ist das Vermögenswert-Erfordernis. Denn nach dem Sinn und Zweck des § 35 InsO wird den Insolvenzgläubigern nur der Teil des Vermögens des Schuldners zugewiesen, der für dessen Schulden haftet, also Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung ist. Zwar spielt die Verwertbarkeit des Gegenstands für die Feststellung der Massezugehörigkeit keine Rolle. Dementsprechend können auch wertlose Gegenstände als Vermögensgegenstände zur Insolvenzmasse gehören. Ist der Gegenstand hingegen verbraucht oder veräußert, so ist er dem Gläubigerzugriff -vorbehaltlich der Gläubigeranfechtung- entzogen. Dasselbe gilt, wenn die Sache vollständig zerstört und nicht mehr existent ist, da sie dann keine Haftungsfunktion mehr erfüllen kann. Deshalb fällt ein Fahrzeug, das bereits vor Insolvenzeröffnung untergegangen ist, nicht unter den Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 1 InsO[13].

Allein aus der Haltereigenschaft für ein Fahrzeug entsteht kein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse. Die Rechtsposition des Halters eines Kraftfahrzeugs ist kein geldwertes Recht oder Gut und damit kein „Vermögen“ im Sinne des § 35 InsO[14].

Auch bei insolvenzfreien Fahrzeugen besteht der notwendige Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse nicht. Denn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters beschränkt sich auf die zur Masse gehörenden Vermögensgegenstände. Der Insolvenzverwalter kann daher das Entstehen von Kraftfahrzeugsteuer für insolvenzfreie Kraftfahrzeuge nicht verhindern. Ebenso wenig ist Kraftfahrzeugsteuer allein deshalb als Masseverbindlichkeit zu beurteilen, weil das (insolvenzfreie) Fahrzeug für die Masse genutzt worden ist. Denn nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO („durch die Verwaltung … der Insolvenzmasse“) liegen Masseverbindlichkeiten nur vor, wenn ein Massegegenstand verwaltet wird und daraus eine (Steuer-)Verbindlichkeit resultiert[15].

Die Feststellungslast für den erforderlichen Bezug einer Kraftfahrzeugsteuer-Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse trägt grundsätzlich das Hauptzollamt.

Eine Rechtsnorm darf nur angewendet werden, wenn feststeht, dass die tatsächlichen Voraussetzungen, an die die Rechtsnorm bestimmte Rechtsfolgen knüpft, vorliegen. Die notwendige Folge ist, dass es für jeden Rechtsstreit, so auch für den Steuerprozess, eine objektive Beweislast (Feststellungslast) geben muss[16]. Danach muss das Gericht den Rechtsstreit nach bestimmten Regeln zugunsten eines Beteiligten entscheiden, wenn nicht festzustellen ist, ob bestimmte rechtserhebliche Tatsachen gegeben sind[17].

Im Allgemeinen gilt für den Steuerprozess, dass die Finanzbehörde die objektive Feststellungslast für die steuerbegründenden und -erhöhenden Tatsachen trägt, während den Steuerpflichtigen die Feststellungslast für die steuerentlastenden und -mindernden Tatsachen trifft[18].

Danach trägt grundsätzlich das Hauptzollamt die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen. Bei der Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handelt es sich zwar weder um eine dem materiellen Steuerrecht zuzuordnende, den Steueranspruch begründende Norm, noch um eine Vorschrift, die eine Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung regelt oder den Steueranspruch aufhebt oder einschränkt. Die Norm bestimmt jedoch, unter welchen Voraussetzungen eine Finanzbehörde berechtigt ist, einen Steueranspruch als Masseverbindlichkeit unmittelbar gegen den Insolvenzverwalter zulasten der Insolvenzmasse geltend zu machen. Die Norm ist danach -zulasten der Finanzbehörde- nicht anzuwenden, wenn ihre Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Lassen sich keine Tatsachen feststellen, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllen, geht dies daher zulasten des vermeintlichen Massegläubigers, hier des Hauptzollamtes[19].

Die Anwendung der Regeln über die Feststellungslast ist allerdings nicht das vorrangige Instrument richterlicher Entscheidungsfindung; es handelt sich vielmehr um eine „ultima ratio“, die regelmäßig erst zur Anwendung gelangt, wenn alle anderen Möglichkeiten der Beweisführung innerhalb der Untersuchungspflicht des Finanzgerichtes ausgeschöpft sind[20]. Vorrangig sind in jedem Fall eigene Bemühungen des Finanzgerichtes zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dabei sind die Beteiligten mit heranzuziehen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO; vgl. BFH, Urteil vom 23.03.2011 – X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, Rz 18).

Bleiben die Bemühungen des Gerichts zur Sachaufklärung erfolglos, weil ein Beteiligter die ihm zumutbare Mitwirkung an der Sachaufklärung (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) verweigert und damit seine Mitwirkungspflichten verletzt, so können sich die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde und des Finanzgerichtes sowie das Beweismaß mindern. Die Finanzbehörde und das Finanzgericht können sich damit begnügen, zu einem geringeren Grad als nach § 88 AO beziehungsweise § 96 FGO geboten davon überzeugt zu sein, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt; das Beweismaß kann sich auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verringern[21]. Berühren die verletzten abgabenrechtlichen Mitwirkungspflichten Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen, kann das Finanzgericht aus seinem Verhalten nachteilige Schlüsse ziehen. Es kann auch einen belastenden Sachverhalt im Rahmen der Beweiswürdigung unterstellen, um zu vermeiden, dass demjenigen, der sich seinen Mitwirkungspflichten entzieht, daraus ein Vorteil entsteht. Als Kriterien für die Minderung der Sachaufklärungspflicht und des Beweismaßes sind die Schwere der Pflichtverletzung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sowie das vorausgegangene Tun des Steuerpflichtigen und insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen. Seine Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer und die der Finanzbehörde und des Finanzgerichtes umgekehrt umso geringer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören[22]. Zu Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast kann es führen, wenn ein Prozessbeteiligter einen Gegenstand vernichtet oder vernichten lässt, obwohl für ihn erkennbar ist, dass jenem eine Beweisfunktion zukommen kann, oder er dem Gegner auf sonstige Weise die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht (schuldhafte Beweisvereitelung)[23].

Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Beteiligten kann im Allgemeinen allerdings erst dann angenommen werden, wenn ein Beteiligter auf ausdrückliche Aufforderung des Finanzgerichtes (§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGO) eine ihm mögliche Äußerung zu Tatsachen oder die Herausgabe von Unterlagen verweigert[24].

Danach ist das Urteil des Finanzgerichtes aufzuheben. Es hat in der Sache eine Entscheidung nach der Feststellungslast zulasten des Insolvenzverwalters getroffen, obwohl die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung nicht vorlagen. Zwar ist das Finanzgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass das Hauptzollamt die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO trägt. Rechtlich unzutreffend hat es jedoch im Weiteren angenommen, dass der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Beweisnähe die Nichtzugehörigkeit der Fahrzeuge zur Insolvenzmasse nachweisen müsse und dass ihm dieser Nachweis nicht gelungen sei.

Eine abweichende Verteilung der Feststellungslast folgt im Streitfall jedoch weder aus einer besonderen Beweisnähe des Insolvenzverwalters noch aus dessen steuerlichen und insolvenzrechtlichen Pflichten beziehungsweise aus einer etwaigen Verletzung dieser Pflichten. Denn in diesen Fällen bliebe die Verteilung der Feststellungslast grundsätzlich unberührt; das Finanzgericht hätte lediglich zu erwägen, ob im konkreten Einzelfall das für die richterliche Überzeugungsbildung erforderliche, aber auch ausreichende Beweismaß gegenüber dem Regelbeweismaß zu reduzieren wäre. Das Beweismaß kann sich dann auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verringern. Das Finanzgericht hat in seiner Entscheidung jedoch nicht darauf abgestellt, dass es unter Anwendung eines geringeren Beweismaßes davon überzeugt sei, dass die 23 Fahrzeuge Teil der Insolvenzmasse gewesen seien, sondern darauf, dass der Insolvenzverwalter das Gegenteil nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt (und bewiesen) habe. Eine Entscheidung nach der Feststellungslast hätte das Finanzgericht jedoch überhaupt erst im Fall der fehlenden weiteren Aufklärbarkeit des Sachverhalts treffen dürfen. Entsprechende Feststellungen des Finanzgerichtes fehlen allerdings.

Eine Umkehr der Beweislast kann zwar auch im Fall einer schuldhaften Beweisvereitelung anzunehmen sein. Ein entsprechendes Verhalten des Insolvenzverwalters hat das Finanzgericht jedoch nicht festgestellt. Ein unkooperatives Verhalten des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wäre dem Insolvenzverwalter jedenfalls nicht zuzurechnen. Dem steht der Einwand des Hauptzollamtes nicht entgegen, dass es einem unkooperativen Insolvenzschuldner nicht zugutekommen dürfe, wenn der Insolvenzverwalter seine ihm in dieser Funktion obliegenden zivilrechtlichen Pflichten erfülle. Dabei übersieht das Hauptzollamt, dass die Nichtinanspruchnahme der Masse nicht unmittelbar der vermeintlich unkooperativen Insolvenzschuldnerin, sondern den Gläubigern zugutekäme, und damit, wenn auch nur nach Maßgabe einer eventuellen Insolvenzquote, im vorliegenden Fall auch dem Hauptzollamt selbst. Hinzu kommt, dass das Hauptzollamt die entstandene Kraftfahrzeugsteuer weiterhin gegenüber dem insolvenzfreien Vermögen und damit unmittelbar gegen die Insolvenzschuldnerin selbst geltend machen kann.

Entgegen der Auffassung des Hauptzollamtes begründet auch die Haltereigenschaft der Insolvenzschuldnerin keine (widerlegbare) Vermutung dafür, dass ihr die auf sie zugelassenen Fahrzeuge gehörten und diese damit Teil der Insolvenzmasse seien. Denn das Fahrzeugregister gibt nur Auskunft über die Person des Halters des Fahrzeugs sowie über bestimmte Fahrzeugdaten (§ 32 Abs. 2 Nr. 2, § 33 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Straßenverkehrsgesetzes -StVG-). Halter eines Fahrzeugs ist aus verkehrsrechtlicher Sicht diejenige Person, auf die das Fahrzeug zugelassen und die als Halter eingetragen ist. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an. Wird das Fahrzeug -wie zum Beispiel im Rahmen eines Leasingverhältnisses- vom Eigentümer an eine andere Person längerfristig ohne die gleichzeitige Übertragung des Eigentums zur Nutzung überlassen, fallen das zivilrechtliche Eigentum und die verkehrsrechtliche Haltereigenschaft regelmäßig auseinander. Allein aus der Haltereigenschaft eines Insolvenzschuldners kann danach nicht darauf geschlossen werden, dass er auch Eigentümer des Fahrzeugs ist und dieses zur Insolvenzmasse gehört.

Die Sache war für den Bundesfinanzhof nicht spruchreif.

Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des Finanzgerichtes kann der Bundesfinanzhof nicht selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit der Kraftfahrzeugsteuer-Verbindlichkeiten zur Insolvenzmasse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen. Erst nach den gebotenen Sachverhaltsermittlungen durch das Finanzgericht, gegebenenfalls unter Heranziehung der Beteiligten, kann auch festgestellt werden, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung aufgrundlage eines geringeren Beweismaßes gegeben sind, oder ob schließlich nach Maßgabe der Feststellungslast zulasten des Hauptzollamtes eine Massezugehörigkeit zu verneinen ist.

Ohne Bindungswirkung für das weitere Verfahren weist der Bundesfinanzhof auf Folgendes hin:

Beide Beteiligte sind zur Mitwirkung bei der Aufklärung der Frage verpflichtet, ob die 23 Fahrzeuge im maßgeblichen Besteuerungszeitraum existierten, ob sie im Eigentum der Insolvenzschuldnerin standen und ob der Insolvenzverwalter über die Art und Weise der Verwendung oder Verwertung der Fahrzeuge bestimmen und gegebenenfalls verhindern konnte, dass weiterhin Kraftfahrzeugsteuer entsteht, indem er die Fahrzeuge veräußert oder außer Betrieb setzt und der Zulassungsbehörde dies anzeigt (§ 5 Abs. 4 und Abs. 5 KraftStG a.F. -seit dem 12.06.2015: § 5 Abs. 4 KraftStG-, § 13 Abs. 4, § 14 Abs. 1 FZV a.F. -seit dem 01.09.2023: § 15 Abs. 5, § 16 Abs. 1 FZV-; vgl. BFH, Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 15).

Für den Insolvenzverwalter als Insolvenzverwalter ist seine Verpflichtung nach § 148 Abs. 1 InsO zu berücksichtigen, Massegegenstände möglichst lückenlos aufzuspüren[25]. Hierzu kann er von der Insolvenzschuldnerin die Herausgabe der in deren Gewahrsam befindlichen Sachen (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO), Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie die Unterstützung bei der Erfüllung seiner Aufgaben verlangen. Hierbei ist an Informationen aus Bankunterlagen der Insolvenzschuldnerin über Zahlungen an etwaige Leasinggesellschaften oder Mahnungen solcher Firmen über ausstehende Raten zu denken. Als Insolvenzverwalter hat der Insolvenzverwalter auch die Möglichkeit, Auskunft etwa aus dem Fahrzeugregister für Fahrzeuge zu erlangen, für die die Insolvenzschuldnerin als Halterin eingetragen ist (§ 35 Abs. 1 Nr. 15 StVG i.V.m. § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Zivilprozessordnung für den Zeitpunkt der Eröffnung des hiesigen Insolvenzverfahrens). Ab dem 01.11.2022 ist dies nach § 98 Abs. 1a InsO n.F., § 35 Abs. 1 Nr.20 StVG n.F. direkt ohne Zwischenschaltung eines Gerichtsvollziehers möglich[26]. Zudem besteht für ihn grundsätzlich die Möglichkeit, bei Vorliegen des Verdachts einer Straftat -hier kommen etwa Diebstahl, Unterschlagung oder unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (§§ 242, 246, 248b des Strafgesetzbuchs) in Betracht- eine Strafanzeige, gegebenenfalls auch gegen einen unbekannten Täter, zu stellen und auf diesem Weg zumindest mittelbar über die Strafermittlungsbehörden an der Aufklärung des Sachverhalts über den Verbleib der Fahrzeuge mitzuwirken (§ 36b StVG erlaubt die Datenübermittlung aus dem Polizeilichen Informationssystem des Bundeskriminalamts an das Kraftfahrt-Bundesamt).

Auf der anderen Seite obliegt es dem Hauptzollamt als zuständiger Finanzbehörde, den für die von ihm vorgenommenen Kraftfahrzeugsteuerfestsetzungen entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO). Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO für die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit gegen den Insolvenzverwalter vorliegen. Hierzu kann das Hauptzollamt im Rahmen der Gesetze sowohl Auskünfte von der als Halterin eingetragenen Insolvenzschuldnerin beziehungsweise ihren (ehemaligen) Geschäftsführern sowie von anderen Behörden, insbesondere von der für die Insolvenzschuldnerin als Halterin beziehungsweise für die auf diese zugelassenen Fahrzeuge zuständigen Fahrzeug-Zulassungsstelle einholen (§§ 93 ff. AO).

Schließlich hat das Finanzgericht auch selbst die Möglichkeit, Maßnahmen zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu ergreifen und sich hierfür zum Beispiel an frühere Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin oder an die Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle zu wenden, um Auskünfte einzuholen und diesen gegebenenfalls weiter nachzugehen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. April 2024 – IV R 18/21

  1. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.06.2021 – 8 K 8013/20[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 10.02.2015 – IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367, Rz 39; vom 11.04.2018 – X R 39/16, Rz 23; BFH, Beschluss vom 08.09.2009 – II B 63/09, BFH/NV 2010, 68, unter II. 2.b, zur Kraftfahrzeugsteuer[]
  3. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 16.07.2015 – III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251, Rz 19[]
  4. BFH, Urteil vom 14.12.2022 – X R 9/20, BFHE 279, 491, BStBl II 2024, 227, Rz 35[]
  5. BFH, Urteile vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 10; vom 08.09.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 9; vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 14; vom 10.02.2015 – IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367, Rz 39; vom 11.04.2018 – X R 39/16, Rz 23[]
  6. BVerwG, Urteil vom 16.12.2009 – 8 C 9.09; BFH, Urteile vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 13; vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 16[]
  7. BFH, Urteil vom 08.09.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 13[]
  8. BFH, Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 12; Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuer, § 5 KraftStG Rz 26[]
  9. BFH, Urteil vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 16[]
  10. BFH, Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 15, mit Hinweis auf § 5 Abs. 4 und Abs. 5 KraftStG, § 13 Abs. 4, § 14 Abs. 1 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung -FZV- in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung[]
  11. BFH, Urteile vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 15; vom 08.09.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149, Rz 14; vom 01.08.2012 – II R 28/11, BFHE 238, 319, BStBl II 2013, 131, Rz 16; vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 13[]
  12. BFH, Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 14; s.a. Müller in Jaeger, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 35 Rz 7; Uhlenbruck/Hirte/Praß, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 35 Rz 46 ff.[]
  13. BFH, Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFHE 264, 106, Rz 14 f.[]
  14. BFH, Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 19[]
  15. BFH, Urteil vom 13.04.2011 – II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, Rz 16, m.w.N.[]
  16. vgl. BFH, Urteile vom 24.06.1976 – IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562, unter 2.; vom 19.08.2015 – X R 30/12, Rz 29[]
  17. BFH, Urteil vom 24.06.1976 – IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562, unter 2.[]
  18. z.B. BFH, Urteile vom 24.06.1976 – IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562, unter 2.; vom 11.07.2006 – VIII R 67/04, BFHE 215, 86, BStBl II 2007, 553, unter II. 2.b bb; vom 25.06.2021 – II R 31/19, BFHE 275, 240, BStBl II 2022, 497, Rz 25[]
  19. vgl. OLG Celle, Urteil vom 06.07.2006 – 6 U 29/06, unter I. 2., zur grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast eines Massegläubigers im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO[]
  20. BFH, Urteile vom 15.02.1989 – X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 23.03.2011 – X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, Rz 17; vom 02.07.2019 – IX R 13/18, BFHE 265, 333, BStBl II 2020, 89, Rz 18[]
  21. BFH, Beschluss vom 07.05.2004 – IV B 221/02, BFH/NV 2004, 1367, unter 1.d; BFH, Urteil vom 23.03.2011 – X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, Rz 19[]
  22. BFH, Urteile vom 15.02.1989 – X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 09.06.2005 – IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765, unter 1.b[]
  23. vgl. BFH, Urteil vom 03.03.2004 – X R 17/98, BFH/NV 2004, 1237, unter II. 4.; BFH, Beschluss vom 11.03.2015 – V B 83/14, Rz 11[]
  24. BFH, Urteile vom 19.10.2011 – X R 65/09, BFHE 235, 304, BStBl II 2012, 345, Rz 60; vom 03.12.2019 – VIII R 23/16, Rz 25[]
  25. vgl. MünchKomm-InsO/Jaffé, 4. Aufl., § 148 Rz 2[]
  26. vgl. zum Ganzen Hergenröder, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2022, 505[]