Die überschuldete GmbH – und die Vermutung der Geschäftsführerhaftung

Aus der festgestellten Überschuldung einer GmbH folgt die Vermutung der zumindest fahrlässigen Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch den Geschäftsführer[1].

Die überschuldete GmbH – und die Vermutung der Geschäftsführerhaftung

So hat in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall das in der Berufungsinstanz hiermit befasste Oberlandesgericht München[2] zu Recht angenommen, dass der Geschäftsführer jedenfalls seiner Verpflichtung, als Geschäftsführer die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer Krise durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen[3], nicht genügt hat und nicht ersichtlich ist, dass insbesondere das langfristige Nichterfüllen von vertraglichen Pflichten zur Eigentumsverschaffung an den Containern, die der Geschäftsführer in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer Vertrieb eingegangen ist, für einen ordentlichen Geschäftsmann nicht erkennbar gewesen wäre. 

Den dagegen von der Beklagten erhobenen Einwand, vonseiten der Schweizer Muttergesellschaft sei eine umfassende Informationsabschottung betrieben worden, hat das Oberlandesgericht München zutreffend unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass ein Geschäftsführer sich zunächst über die Rahmenbedingungen des Geschäfts vergewissern müsse, sodass der Geschäftsführer jedenfalls bei Beginn seiner Tätigkeit die Pflicht gehabt habe, die Grundstrukturen (auch) der Einnahmen (Überweisungen der Schweizer Muttergesellschaft, von der die Vertriebsgesellschaften abhängig waren), zu prüfen. Die vom Oberlandesgericht München herangezogene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[4] bezieht sich zwar auf die Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen eines Vertriebssystems, gilt aber gleichermaßen für die tatsächlichen Rahmenbedingungen, die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen des Unternehmens (Zahlung der garantierten Mieten; Eigentumsübertragung an den Containern und deren Rückkauf bei Ende der Laufzeit) erforderlich waren. Zu einer solchen Überprüfung hätte insbesondere in Anbetracht der für die Jahresabschlüsse von 2010 bis 2016 lediglich eingeschränkt erteilten Bestätigungsvermerke Anlass bestanden. Mangels jeglicher Überprüfbarkeit des Containerbestands für den Geschäftsführer waren mithin auch sog. „Leerverkäufe“ möglich und nicht kontrollierbar. Seine Hinnahme der Informationspolitik der Schweizer Gesellschaft vermag ihn daher nicht zu entlasten, sondern war vielmehr gerade pflichtwidrig, weil der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht[5].

Auf eine etwaige Ressortaufteilung zwischen dem Geschäftsführer und seinem zwischenzeitlichen Mitgeschäftsführer kann sich der Geschäftsführer ebenfalls nicht berufen. Abgesehen davon, dass der Geschäftsführer als Geschäftsführer für den Vertrieb zuständig war und als solcher die Anlageverträge auch persönlich in Vertretung für die Vertriebsgesellschaften unterzeichnet hat, entband ihn eine etwaige Ressortaufteilung nicht von seiner eigenen Verantwortung für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte. Ihm oblag insoweit eine Kontroll- und Überwachungspflicht gegenüber dem Mitgeschäftsführer, die hinsichtlich der Wahrnehmung von nicht übertragbaren Aufgaben wie etwa die Einstandspflicht des Geschäftsführers für die Gesetzmäßigkeit der Unternehmensleitung besonders weitgehend war[6]

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Juli 2024 – II ZR 206/22

  1. vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 25[]
  2. OLG München, Urteil vom 19.05.2022 – 8 U 2506/20[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 19.06.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 11; Urteil vom 06.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 14[]
  4. BGH, Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 569/13, ZIP 2015, 736 Rn. 10 ff.[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 20.02.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 561; Urteil vom 06.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 14[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 06.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 15 mwN[]