Insolvenzanfechtung bei einer GmbH – und der mittelbare Gesellschafter

Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, so sind nahestehende Personen auch solche, die mittelbar zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.

Insolvenzanfechtung bei einer GmbH – und der mittelbare Gesellschafter

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte ein Insolvenzverwalter geklagt.)). Der beklagte Verein, ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder Augenoptiker sind, ist alleiniger Gesellschafter der M. GmbH. Der Vorstand des beklagten Vereins ist Mitglied des Beirats der M. GmbH. Die M GmbH wiederum ist alleinige Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin. Die Schuldnerin überwies von ihrem allgemeinen Geschäftskonto wiederholt Gelder, zuletzt 146.400 € einen Monat vor ihrem eigenen Insolvenzantrag. Anlass und Rechtsgrund dieser Zahlungen sind zwischen den Parteien streitig. Mit der Klage begehrt der Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung (u.a.) Zahlung des Überweisungsbetrags nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten. 

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Regensburg hat die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen[1]. Die Berufung blieb vor dem Oberlandesgericht Nürnberg ebenfalls ohne Erfolg[2]. Die hiergegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters hatte nun vor dem Bundesgerichtshof Erfolg; sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht Nürnberg:

Rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht Nürnberg die von allen Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung vorausgesetzte Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 Abs. 1 InsO[3] bejaht. Für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung[4]

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg ist jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, die Kenntnis des beklagten Vereins von einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Überweisung vom 16.07.2013 gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 InsO zu vermuten.

Nach der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem – hier am 22.08.2013 gestellten – Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte.

Der beklagte Verein ist aufgrund seiner mittelbaren Beteiligung an der Schuldnerin als nahestehende Person gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO anzusehen. Folglich wird gemäß § 130 Abs. 3 InsO vermutet, dass er eine etwaige Zahlungsunfähigkeit kannte.

Ist der Schuldner – wie hier – eine juristische Person, so sind gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO unter anderem solche Personen als nahestehend anzusehen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. Die Bestimmung erfasst auch mittelbare Beteiligungen[5], wie sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt. Maßgeblich ist das Verständnis der Insolvenzordnung.

§ 154 Abs. 2 RegE bestimmte ausdrücklich, dass eine Person auch insoweit am Schuldner beteiligt ist, als ein von der Person abhängiges Unternehmen oder ein Dritter für Rechnung der Person oder des abhängigen Unternehmens am Schuldner beteiligt ist. Damit sollte bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital auch eine mittelbare Beteiligung zu berücksichtigen sein[6]. Aufgrund Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses erfolgte eine Neugliederung und redaktionelle Straffung, in deren Folge § 153 Abs. 2 Nr. 1 nunmehr die von § 154 RegE geregelten Beziehungen erfassen sollte[7]. Eine inhaltliche Änderung sollte damit nicht verbunden sein, auch wenn mittelbare Beteiligungen – wie in der Gesetz gewordenen Fassung des § 138 InsO – nicht mehr ausdrücklich genannt wurden.

§ 154 Abs. 2 RegE war laut Gesetzesbegründung parallel zu § 16 Abs. 4 AktG formuliert[6]. Auch ohne ausdrückliche Regelung in § 138 InsO entspricht es dem in § 16 Abs. 4 AktG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, für die Berechnung der Kapitalbeteiligung auch mittelbare Beteiligungen am Schuldner einzubeziehen.

Die Regelung des § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO beruht darauf, dass zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligte Personen über besondere, das heißt über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten verfügen, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten[6]. Das Bestehen einer solchen Möglichkeit wird in typisierender Weise bei einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % unwiderleglich vermutet. Dies muss nach dem Grundgedanken der Regelung auch dann gelten, wenn eine Beteiligung von mehr als 25 % durch die Zwischenschaltung einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht wird[8]. Für die eine mittelbare Beteiligung begründende Abhängigkeit ausreichend ist der Mehrheitsbesitz der Anteile (§ 16 AktG), auf die Unternehmenseigenschaft des Inhabers kommt es dabei nicht an[9].

Die Voraussetzungen einer mittelbaren Beteiligung des beklagten Vereins an der Schuldnerin von mehr als 25 % sind im Streitfall nach den beanstandungsfreien Feststellungen des Oberlandesgerichts Nürnberg gegeben, weil der beklagte Verein alleiniger Gesellschafter der M. GmbH und diese wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin ist. Ob der Gesellschafter einer GmbH als nahestehende Person anzusehen ist, hängt nach dem Gesetz aus Gründen der Rechtsklarheit nicht davon ab, in welchem Umfang Rechtsgeschäfte der Geschäftsführer nach dem konkreten Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen[10].

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif war, war sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Für das weitere Verfahren weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass sich die Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO ausschließlich auf die Kenntnis bezieht, nicht auf die objektiven Anfechtungsvoraussetzungen[11]. Der Insolvenzverwalter hat demnach auch bei der Insolvenzanfechtung gegenüber einer nahestehenden Person insbesondere die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit darzulegen und zu beweisen[12]. Zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Vornahme (§ 140 Abs. 1 InsO) der hier interessierenden Überweisung vom 16.07.2013 hat das Oberlandesgericht Nürnberg die von seinem Standpunkt aus folgerichtig unterbliebenen Feststellungen nunmehr nachzuholen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Februar 2024 – IX ZR 106/21

  1. LG Regensburg, Urteil vom 28.08.2018 – 4 O 380/17 (1) []
  2. OLG Nürnberg, Urteil vom 18.05.2021 – 14 U 1928/18[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2023 – IX ZR 36/22, WM 2024, 86 Rn. 33[]
  4. BGH, Beschluss vom 20.10.2016 – IX ZR 305/14, NZI 2017, 28 Rn. 12[]
  5. so auch HK-InsO/Thole, 11. Aufl., § 138 Rn. 14; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 9. Aufl., § 138 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Gehrlein, 4. Aufl., § 138 Rn. 24; Römermann/Nerlich, InsO, 2017, § 138 Rn.19; Bartels in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2018, § 138 Rn. 74; Schmidt/Ganter, InsO, 20. Aufl., § 138 Rn. 23; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 138 Rn. 30[]
  6. BT-Drs. 12/2443, S. 162[][][]
  7. BT-Drs. 12/7302, S. 174[]
  8. MünchKomm-InsO/Kirchhof/Gehrlein, 4. Aufl., § 138 Rn. 24; Hirte, ZInsO 1999, 429, 431 f[]
  9. BT-Drs. 12/2443, S. 162; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 9. Aufl., § 138 Rn. 18; Hirte, aaO S. 432[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 23.11.1995 – IX ZR 18/95, BGHZ 131, 189, 194 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO[]
  11. Schoppmeyer in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2013, § 130 Rn. 162; MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl., § 130 Rn. 66 f[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2007 – IX ZR 210/04, NZI 2007, 722 Rn. 5; Schmidt/Ganter/Weinland, InsO, 20. Aufl., § 130 Rn. 105[]