Beweis: Zeugnis des Insolvenzschuldners

Vor Vernehmung eines Zeugen müssen die Voraussetzungen des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht bewiesen oder unstreitig sein. Es reicht insoweit der schlüssige Vortrag des Beweisführers aus.

Beweis: Zeugnis des Insolvenzschuldners

In einem Prozess eines Gläubigers auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle ist der Insolvenzschuldner nicht Rechtsvorgänger des beklagten Insolvenzverwalters im Sinne des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Die Vorschrift ist auch nicht analog auf den Insolvenzschuldner anwendbar.

Es kommt nicht darauf an, dass die Voraussetzungen des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vor Vernehmung des Zeugen bereits bewiesen oder unstreitig sein müssen. Es reicht insoweit der schlüssige Vortrag des Beweisführers aus[1]. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO („vorgenommen sein sollen“). Macht der Zeuge jedoch bei seiner Vernehmung geltend, nicht als Vertreter des Klägers oder Rechtsvorgängers gehandelt zu haben, und wird dies nicht durch andere Umstände belegt, kann er es dann ablehnen, sich weiter zur Sache vernehmen zu lassen[2].

Der Insolvenzschuldner ist nicht Rechtsvorgänger des Insolvenzverwalters. Der Begriff des Rechtsvorgängers nach § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist nach dem Willen des Gesetzgebers nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen[3]. Zwar ist mit der Insolvenzeröffnung und der Bestellung des Insolvenzverwalters ein Übergang der Verfügungsbefugnis vom Insolvenzschuldner auf den Insolvenzverwalter verbunden. Dies stellt jedoch weder für den Übergang der Verwaltungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter[4], noch für deren Wegfall nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder Freigabe durch den Insolvenzverwalter – VII ZB 23/14, ZIP 2017, 1919[5] eine Rechtsnachfolge dar.

Eine analoge Anwendung des § 385 Abs. 1 Nr. 4 1. Fall ZPO auf den Insolvenzschuldner als Zeuge in einem Prozess des Gläubigers gegen den Insolvenzverwalter kommt auch nicht in Betracht. Zwar wird eine analoge Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung, in denen die Rechtsnachfolge bzw. eine Stellung als Rechtsvorgänger eine Rolle spielt, auf den Insolvenzverwalter in Erwägung gezogen[6]. Die für eine analoge Anwendung des § 385 Abs. 1 Nr. 4, 1. Fall ZPO erforderliche planwidrige Regelungslücke fehlt jedoch. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Materialien zur Verabschiedung der Zivilprozessordnung unter dem Rechtsvorgänger nur denjenigen im Sinne des Bürgerlichen Rechts verstanden. Der Übergang der Verwaltungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter macht den Insolvenzverwalter nicht zum Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners und umgekehrt letzteren nicht zum Rechtsvorgänger des Insolvenzverwalters. Die Zivilprozessordnung gehörte wie auch die Konkursordnung zu den Reichsjustizgesetzen, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang miteinander verabschiedet und in Kraft getreten sind[7]. Gleichwohl hat der Gesetzgeber den Übergang der Verwaltungsbefugnisse auf den Konkursverwalter nach der Konkursordnung nicht ausdrücklich mit in die Regelungen des § 350 Abs. 1 Nr. 4 CPO [jetzt § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO] einbezogen.

Gegen eine analoge Anwendung spricht, dass § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist[8].

Dagegen spricht weiterhin der Zweck des § 384 Nr. 1 ZPO. Dieser besteht darin, den Zeugen vor nachteiligen Folgen seiner eigenen wahrheitsgemäßen Aussage zu schützen. Niemand soll wegen seiner Zeugnispflicht zu selbstschädigenden Handlungen gezwungen werden. Der Zeuge muss deshalb seine vermögensrechtlichen Interessen denen der beweisführenden Partei nicht unterordnen. Selbst die Prozessparteien sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht gehalten, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht von sich aus verfügt; eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht darlegungsund beweisbelasteten Partei besteht nicht[9].

Der Schutz des Zeugen vor einer im Zeugenstand strafbewehrten Pflicht zur Selbstbelastung muss auch nicht aus Gründen materieller Gerechtigkeit zurücktreten, weil der Prozessgegner des Insolvenzverwalters als Beweisführer wegen des Zeugnisverweigerungsrechts sonst in Beweisnot geriete. Der Insolvenzverwalter unterliegt als Partei der Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO. Dazu gehört, dass er sich über die ihm nicht bekannten Tatsachen erkundigt, denn das Recht, sich auf ein Nichtwissen zu berufen, ist durch die Pflicht der Partei eingeschränkt, die ihr möglichen Informationen von bestimmten anderen Personen einzuholen[10]. Die nötigen Informationen kann der Insolvenzverwalter beim Insolvenzschuldner einholen, da dieser gemäß § 97 Abs. 1 InsO dem Insolvenzverwalter Auskunft geben muss, selbst wenn Tatsachen zu offenbaren sind, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Der Prozessgegner kann die Parteivernehmung des Insolvenzverwalters gemäß § 445 Abs. 1 ZPO beantragen. Wenn der Insolvenzverwalter seine Parteivernehmung verweigert, kann dies vom Prozessgericht nach § 446 ZPO bewertet werden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. November 2018 – II ZB 22/17

  1. RGZ 53, 117; RG, JW 1911, 489 Nr. 15; OLG Celle, SeuffA 1896 Nr. 231; MünchKomm-ZPO/Damrau, 5. Aufl., § 385 Rn. 5; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 385 Rn. 7[]
  2. OLG Celle, SeuffA 1896 Nr. 231; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 385 Rn. 7; MünchKomm-ZPO/Damrau, 5. Aufl., § 385 Rn. 5; a.A. Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 385 Rn. 37[]
  3. Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Bd., S. 332, 335, 312; RGZ 13, 355, 356 f.[]
  4. BGH, Beschluss vom 30.08.2017 – VII ZB 23/14, ZIP 2017, 1919 Rn. 9; OLG Dresden, SächsArch 13, 265; a.A. RGZ 53, 8, 10[]
  5. BGH, Rn. 9; Beschluss Beschluss vom vom 30.08.2017 14.04.2005 – V ZB 25/05, WM 2005, 1324, 1325 f.; Urteil vom 15.06.1992 – II ZR 88/91, BB 1992, 1583, 1584[]
  6. analoge Anwendung des § 727 ZPO: BGH, Beschluss vom 30.08.2017 – VII ZB 23/14, ZIP 2017, 1919 Rn. 9; Beschluss vom 03.02.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rn. 8; Beschluss vom 14.04.2005 – V ZB 25/05, WM 2005, 1324, 1325 f.; für § 325 ZPO analog: MünchKomm-ZPO/Gottwald, 5. Aufl., § 325 Rn. 25; HKZPO/Saenger, 7. Aufl., § 325 Rn. 13; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 325 Rn. 28; ablehnend für § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO: BGH, Urteil vom 07.01.2007 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86, Rn. 9; Urteil vom 15.06.1992 – II ZR 88/91, BB 1992, 1583, 1584[]
  7. Reichsgesetzblatt 1877, S. 83 [CPO] und S. 351 [KO][]
  8. RGZ 13, 355, 357; OLG München, OLGR 1996, 242; OLG Köln, NJW 1955, 1561; a.A. MünchKomm-ZPO/Damrau, 5. Aufl., § 385 Rn. 5; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 385 Rn. 6[]
  9. BGH, Beschluss vom 26.10.2006 – III ZB 2/06, NJW 2007, 155 Rn. 7[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2003 – VII ZR 79/02, NJW-RR 2004, 92, 93 mwN[]