Der zu billige Verkauf durch den Insolvenzschuldner

Veräußert der Schuldner einen Vermögensgegenstand, dessen objektiver Wert denjenigen der vereinbarten Gegenleistung erheblich übersteigt, scheidet eine Anfechtung wegen einer teilweise unentgeltlichen Leistung aus, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen der Vertragsanbahnung, der Vorüberlegungen der Parteien und des Vertragsschlusses selbst von einem Austauschgeschäft ausgehen und zudem von der Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen überzeugt sind[1].

Der zu billige Verkauf durch den Insolvenzschuldner

Beruft sich der Anfechtungsgegner einer Schenkungsanfechtung darauf, die Vertragsparteien seien von einem gleichwertigen Leistungsaustausch ausgegangen, muss der Insolvenzverwalter beweisen, dass die Fehlvorstellung keine Grundlage in den objektiven Umständen des Vertragsschlusses hatte. Nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast muss jedoch der Anfechtungsgegner solche Umstände substantiiert darlegen.

Nach § 134 Abs. 1 InsO ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar, die innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist. Als Leistung im Sinne des § 134 Abs. 1 InsO ist jede Rechtshandlung zu verstehen, die dazu dient, einen zugriffsfähigen Gegenstand aus dem Vermögen des Schuldners zu entfernen[2]. Die Veräußerung des streitgegenständlichen Grundstücks an den Anfechtungsgegner ist wegen der damit verbundenen Vermögensminderung als Leistung einzustufen. Für die Frage der Unentgeltlichkeit ist auf den Zeitpunkt des Rechtserwerbs des Anfechtungsgegners in Folge der Leistung des Schuldners abzustellen, also auf den gemäß § 140 InsO zu bestimmenden Zeitpunkt, zu dem die rechtlichen Wirkungen der Rechtshandlung eintreten[3].

In einem Zwei-Personen-Verhältnis – wie vorliegend – ist eine Leistung als unentgeltlich anzusehen, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll[4]. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte[5].

Für die Bewertung ist in erster Linie die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers ausschlaggebend. Andernfalls könnten die Beteiligten allein dadurch, dass sie einer für den Schuldner objektiv wertlosen Leistung in ihren rechtsgeschäftlichen Erklärungen einen subjektiven Wert beimessen, den Zweck des Gesetzes vereiteln[6]. Bei einem Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung ist § 134 Abs. 1 InsO nicht anwendbar, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen der Vertragsanbahnung, der Vorüberlegungen der Parteien und des Vertragsschlusses selbst von einem Austauschgeschäft ausgehen und zudem in gutem Glauben von der Werthaltigkeit der dem Schuldner gewährten Gegenleistung überzeugt sind, die sich erst aufgrund einer nachträglichen Prüfung als wertlos erweist[7]. In gleicher Weise ist eine Fehlvorstellung der Beteiligten über den Wert der vom Schuldner zu erbringenden Leistung nur dann erheblich, wenn sie ihre Grundlage in den objektiven Umständen des Vertragsschlusses findet.

Den Insolvenzverwalter trifft die Darlegungs- und Beweislast für die Unentgeltlichkeit der Leistung des Schuldners[8]. Beruft sich der Anfechtungsgegner darauf, beide Teile seien von einem gleichwertigen Leistungsaustausch ausgegangen, reicht es nicht aus, dass der Insolvenzverwalter ein Missverhältnis des objektiven Werts von Leistung und Gegenleistung darlegt und beweist. Vielmehr muss er dartun und beweisen, dass keine objektiven Umstände vorgelegen haben, die eine solche Annahme der Vertragsparteien erlaubten[9]. Bei dem behaupteten Fehlen objektiver Umstände handelt es sich um negative Tatsachen; dem Insolvenzverwalter kommen daher Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute[10]. Er muss, um seiner Darlegungs- und Beweislast zu genügen, nicht alle theoretisch denkbaren Umstände ausräumen, welche einen guten Glauben an die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung begründen könnten; es reicht vielmehr aus, die von dem Anfechtungsgegner substantiiert dargelegten Umstände auszuräumen. Gelingt dies, ist der Beweis der negativen Tatsache erbracht[11].

Nach diesen Maßstäben durfte im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht davon ausgehen, dass der Schuldner und der Anfechtungsgegner nach den objektiven Umständen der Vertragsanbahnung, der Vorüberlegungen der Vertragsparteien und des Vertragsschlusses selbst von einem Austauschgeschäft ausgegangen sind und zudem in gutem Glauben von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung überzeugt waren:

Das Oberlandesgericht Celle ist in der Vorinstanz[12] der zwischen den Parteien streitigen Frage, welchen Wert das Grundstück zum maßgeblichen Zeitpunkt hatte, weil nach seiner Ansicht unerheblich, nicht nachgegangen. Revisionsrechtlich ist deswegen vom Vortrag des Insolvenzverwalters auszugehen, dass der Wert des Grundstücks mindestens 600.000 € betrug. Von diesem Wert ist der Wert des dem Schuldner eingeräumten lebenslangen dinglichen Wohnrechts abzuziehen, sei es, wie das OLG Celle angenommen hat, weil sich der dem Anfechtungsgegner durch die Grundstücksübertragung zufallende Vorteil infolge des lebenslangen Wohnrechts verringert[13], sei es, weil in der Bestellung des Wohnrechts durch den Anfechtungsgegner, wie die Vertragsparteien es vereinbart haben, neben der Übernahme der Schulden die vereinbarte Gegenleistung liegt. Den Wert des Wohnrechts hat das OLG Celle entsprechend der vertraglichen Vereinbarung mit 180.847, 50 € angenommen. Unstreitig stand das durch die Grundschuld abgesicherte Darlehen zum Zeitpunkt des Grundstückkaufvertrags noch in Höhe von 214.152, 50 € offen. Dann aber floss dem Schuldner nach objektivem Maßstab jedenfalls in Höhe von 205.000 € kein ausgleichender Gegenwert zu. Auch eine teilweise unentgeltliche Leistung ist gemäß § 134 InsO anfechtbar[14].

Der Anfechtungsgegner stützt den Glauben an die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung auf das vor Vertragsschluss eingeholte Gutachten über den Grundstückswert. Demgegenüber hat der Insolvenzverwalter objektive Umstände vorgetragen, welche gegen einen aus dem Gutachten abgeleiteten gemeinsamen Irrtum des Schuldners und des Anfechtungsgegners sprechen.

Das OLG Celle hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich um ein Geschäft unter Verwandten handelte. Bei Austausch-Marktgeschäften ist davon auszugehen, dass jeder Vertragsteil zum Schutz gegen eine Übervorteilung seine eigenen Interessen bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung hinreichend wahrnimmt[15]. Dies kann bei Verträgen zwischen nahestehenden Personen, insbesondere Verwandten, aufgrund des häufig fehlenden Interessengegensatzes nicht ohne Weiteres angenommen werden. Solche Verträge sind oft durch persönliche Verhältnisse beeinflusst, weil wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen ein anderer Preis als unter Fremden vereinbart werden kann[16]. Gerade bei Verträgen zwischen nahestehenden Personen besteht zudem die Gefahr, dass sie bloße Scheingeschäfte darstellen, um Gegenstände vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen[17].

Der Insolvenzverwalter hat auf den vom Anfechtungsgegner nicht bestrittenen Umstand hingewiesen, dass am 28.06.2011, mithin zwei Monate vor dem Kaufvertrag, das zuständige Finanzamt bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, an welcher der Schuldner als Gesellschafter beteiligt war, eine Umsatzsteuersonderprüfung angeordnet hat und noch im Juni 2011 eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen durch die Steuerfahndung stattgefunden haben, sowohl in den Geschäftsräumen der Gesellschaft als auch in den privaten Räumen der Gesellschafter, so auch beim Schuldner. Hiermit hat der Insolvenzverwalter ein mögliches Motiv für diesen dargelegt, das Grundstück durch den Verkauf an den Anfechtungsgegner und durch die Eintragung eines dinglichen Wohnrechts dem Zugriff der Finanzverwaltung zu entziehen.

Auffallend war die Eile zwischen Gutachtenerstellung und Vertragsschluss. Ausweislich des notariellen Kaufvertrags haben die Vertragsparteien bei der Bestimmung des Kaufpreises das von ihnen eingeholte Gutachten zugrunde gelegt. Der Gutachter soll das Grundstück am 29.08.2011, einen Tag vor der notariellen Beurkundung, begutachtet haben. Das Gutachten selbst trägt hingegen das Datum vom 31.08.2011. Diese zeitliche Diskrepanz lässt sich – ohne erklärende Ausführungen durch den Anfechtungsgegner – nur dadurch erklären, dass den Vertragsparteien zum Zeitpunkt der notariellen Beurkundung lediglich die mündlichen Angaben des Gutachters zum Verkehrswert vorlagen. Dann aber wurde der Beurkundungstermin in nicht nachvollziehbarer Eile angesetzt, weil die Vertragsparteien nicht das schriftliche Gutachten abwarten wollten. Das Gutachten bezeichnet im Übrigen den ermittelten Verkehrswert als „überschlägig“, das Wohnrecht wird nicht bewertet und die Grundlagen der Beauftragung werden nicht mitgeteilt. Insbesondere hat der Anfechtungsgegner das Gutachten nur unvollständig – ohne die erste Seite – vorgelegt.

Der Insolvenzverwalter hat behauptet und unter Vorlage des Protokolls der Gläubigerversammlung vom 22.06.2016 und Hinweis auf die dort protokollierten Angaben des Schuldners unter Beweis gestellt, der Anfechtungsgegner sei zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses Student gewesen und habe keine Einnahmen gehabt. Noch in dem letztlich im Juni 2015 geschlossenen Kreditvertrag wird der Anfechtungsgegner als „Student“ bezeichnet. Der Anfechtungsgegner hat nie vorgetragen, welchem Beruf er bei Vertragsschluss nachgegangen ist und welche Einnahmen er hatte.

Es kommt hinzu, dass die inhaltlichen Regelungen des Kaufvertrags Zweifel erwecken, dass der Schuldner ihn mit einem Dritten und ein Dritter ihn mit dem Schuldner geschlossen hätte. Denn einerseits erscheint es fraglich, ob sich ein Dritter auf eine überschlägige mündliche Verkehrswertbestimmung ohne Bewertung des dinglichen Wohnrechts eingelassen hätte. Andererseits ließ sich der Schuldner keine Sicherheiten vom Anfechtungsgegner dafür geben, dass dieser ihn tatsächlich von den Kreditverbindlichkeiten befreien würde. Er musste also mit der Möglichkeit rechnen, dass der Anfechtungsgegner die Kreditraten nicht übernehmen und die Bank deswegen aus der erstrangigen Grundschuld in das Grundstück vollstrecken und er sein Wohnrecht verlieren würde.

Das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Celle ist nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO). Die Ansicht, dass der Antrag des Insolvenzverwalters auf Übertragung des Eigentums an dem streitgegenständlichen Grundstück auch dann abzuweisen sei, wenn sich die Veräußerung als teilweise unentgeltlich erweise und keine verschleierte Schenkung vorliege, trifft nicht zu. Als Rechtsfolge einer teilweise unentgeltlichen Leistung ist vorrangig der Wertüberschuss der schuldnerischen Leistung an die Insolvenzmasse zurückzuerstatten. Soweit die Leistung teilbar ist, bleibt die Rechtsfolge der Anfechtung gemäß § 134 InsO auf den überschießenden Teil, der als unentgeltlich gilt, beschränkt[18]. Ist die höherwertige Leistung des Schuldners – wie vorliegend die Eigentumsübertragung an dem Grundstück – unteilbar, richtet sich die Anfechtung auf Rückgewähr der Leistung insgesamt, allerdings Zug um Zug gegen Rückgabe der erbrachten Gegenleistung[19].

Für das weitere Verfahren weist der Bundesgerichtshof noch darauf hin, dass hier nach dem klägerischen Vortrag auch eine verschleierte Schenkung vorliegen kann:

Der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts Celle trifft allerdings zu. Die von einem Schuldner erbrachte Zuwendung kann nicht schon deshalb als unentgeltlich angefochten werden, weil es zu einer Störung des Austauschverhältnisses gekommen ist und die vereinbarte Gegenleistung nicht erbracht wurde. Denn wenn der Schuldner mit dem Anfechtungsgegner eine angemessene Gegenleistung für die von ihm erbrachte Zuwendung vereinbart hat, kann diese nicht schon deshalb als unentgeltlich angefochten werden, weil die Gegenleistung ausgeblieben ist. Es genügt für die Annahme der Entgeltlichkeit, dass in diesem Fall der Schuldner seine Leistung zurückfordern (§ 323 Abs. 1, § 326 Abs. 4 und 5 BGB) oder Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann[20].

Etwas Anderes gilt jedoch, wenn beide Vertragsparteien von vornherein davon ausgehen, dass der Zuwendungsempfänger die vereinbarten Gegenleistungen nicht erbringen soll. Dann sind die rechtsgeschäftlichen Erklärungen der Beteiligten nur vorgeschoben und es liegt in Wahrheit eine verschleierte Schenkung vor[21]. Da grundsätzlich von der Ernstlichkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen auszugehen ist, trägt für das Vorliegen eines Scheingeschäfts derjenige die Beweislast, der sich darauf beruft[22], für das Vorliegen einer verschleierten Schenkung mithin der Insolvenzverwalter. Dabei kann dem nachträglichen Verhalten der Vertragsparteien für die Ermittlung des tatsächlichen Vertragswillens der Beteiligten Bedeutung zukommen[23].

Diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat das OLG Celle verkannt und deswegen den entsprechenden Vortrag des Insolvenzverwalters und seine Beweisangebote unberücksichtigt gelassen. Der Insolvenzverwalter hat Indizien für eine verschleierte Schenkung vorgetragen, welchen der Anfechtungsgegner teilweise nur unzureichend entgegengetreten ist. Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Anfechtungsgegner von Juli 2012 bis Oktober 2015 für die Kreditraten aufgekommen ist, sei es, dass er sie auf das Konto des Schuldners überwiesen hat, sei es, dass die Bank die Kreditraten von seinem Konto eingezogen hat. In diesem fraglichen Zeitraum nahm der Schuldner jedoch sein dingliches Wohnrecht nicht wahr, so dass der Anfechtungsgegner das Anwesen vermieten konnte und unbestritten die Mieten einzog, welche zumindest so hoch waren, dass aus ihnen die Kreditraten gezahlt werden konnten. Weiter ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Anfechtungsgegner ab November 2015 bis zur Umschuldung im April 2016 und danach die Darlehensraten aufgebracht hat; dies aber war zu einem Zeitpunkt, zu dem das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners bereits eröffnet war und der Insolvenzverwalter den Kaufvertrag angefochten hatte. Streitig ist zwischen den Parteien, ob der Anfechtungsgegner die Darlehensraten ab 1.09.2011 bis zum Juni 2012 gezahlt hat; den beidseits angebotenen Beweis über diese Frage hat das OLG Celle nicht erhoben. Deswegen ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der Anfechtungsgegner die Kreditraten gegenüber der Bank bis zur Insolvenzanfechtung nie aus eigener Kraft aufgebracht und der Schuldner sein Wohnrecht über einen langen Zeitraum bis zur Insolvenzanfechtung nicht ausgeübt hat. Diese Indizien sind bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen, ob der Schuldner und der Anfechtungsgegner bei Vertragsschluss überhaupt die Absicht hatten, dass der Anfechtungsgegner an den Schuldner irgendeine Gegenleistung für die Eigentumsübertragung erbringen sollte.

Es wird erforderlichenfalls zusätzlich zu prüfen sein, ob der Rückgewähranspruch nach § 143 Abs. 1 InsO aus § 133 Abs. 1 InsO aF gerechtfertigt ist. Auf den Streitfall findet § 133 InsO in der bis zum 4.04.2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 05.10.1994[24] Anwendung, weil das Insolvenzverfahren am 18.12.2014 und damit vor dem 5.04.2017 eröffnet wurde (vgl. Art. 103j Abs. 1 EGInsO). Mit der Begründung des Oberlandesgerichts Celle lässt sich der erforderliche Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht verneinen.

Das OLG Celle hat verkannt, dass die Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit nur ein – wenn auch gewichtiges – Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ist. Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter andere Indizien für einen Benachteiligungsvorsatz vorgetragen, welche das OLG Celle nicht berücksichtigt hat. Der von § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzte Benachteiligungsvorsatz ist gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO) die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge – sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils erkannt und gebilligt hat[25]. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung nach § 286 ZPO sind die maßgeblichen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, welche als Erfahrungswerte für und gegen den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners sprechen[26]. Indizielle Bedeutung können der Eintritt einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung und das besondere Ausmaß der Beeinträchtigung haben. Auch kommt erhebliche Bedeutung für die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes dem Umstand zu, dass eine Grundstücksübertragung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Erhebung von Untreuevorwürfen von dritter Seite steht. Dieses Beweisanzeichen kann durch das Näheverhältnis zwischen dem Schuldner und dem Anfechtungsgegner noch verstärkt werden[27]. Gewichtiger Anhaltspunkt kann zudem sein, wenn der Schuldner seinen letzten werthaltigen Vermögensgegenstand auf einen Dritten überträgt[28]. All die Indizien, welche vorliegend gegen die Annahme des guten Glaubens von dem Wert des Grundstücks sprechen, können auch Indizien für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und gegebenenfalls für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem sein. Mit der Belastung des Grundstücks mit einem dinglichen Wohnrecht zugunsten des Schuldners wurde zumindest objektiv ein Verwertungshindernis geschaffen[29]. Dies kann ebenfalls ein Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon sein.

Insoweit ist der Insolvenzverwalter auch nicht präkludiert. Allerdings hat er sich erstinstanzlich nicht auf die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO berufen. Doch schadet ihm dies nicht. Die Klage aus § 133 InsO ist schon dann begründet, wenn der Insolvenzverwalter den seinen Antrag rechtfertigenden Sachverhalt vorgetragen hat und seine Anfechtungsabsicht erkennbar ist[30]. Die Indizien, aus welchen der Insolvenzverwalter den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon ableitet, wurden entweder bereits erstinstanzlich vorgetragen oder hat der Anfechtungsgegner nicht bestritten. Der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug gilt, auch soweit sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind, nicht für unstreitige Tatsachen[31].

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 2020 – IX ZR 208/18

  1. Ergänzung zu BGH, Urteil vom 15.09.2016 – IX ZR 250/15, NZI 2017, 68[]
  2. BGH, Urteil vom 15.09.2016 – IX ZR 250/15, NZI 2017, 68 Rn. 11[]
  3. BGH, Urteil vom 19.07.2018 – IX ZR 296/17, NJW 2018, 3018 Rn. 9[]
  4. BGH, Urteil vom 15.09.2016 – IX ZR 250/15, NZI 2017, 68 Rn.20; vom 19.07.2018 – IX ZR 307/16, NZI 2018, 800 Rn. 32; vom 27.06.2019 – IX ZR 167/18, BGHZ 222, 283 Rn. 83[]
  5. BGH, Urteil vom 19.07.2018 – IX ZR 296/17, NJW 2018, 3018 Rn. 8[]
  6. BGH, Urteil vom 15.09.2016, aaO Rn. 21[]
  7. BGH, Urteil vom 15.09.2016, aaO Rn. 22[]
  8. BGH, Beschluss vom 09.03.2017 – IX ZA 16/16, NZI 2017, 393 Rn. 8; vgl. auch zu § 32 Nr. 2 KO BGH, Urteil vom 21.01.1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033[]
  9. vgl. BeckOKInsO/Raupach, 2020, § 134 Rn. 18.1; Ganter, WuB 2017, 161, 163; wohl auch Pape, ZInsO 2018, 745, 752; aA Bork, EWiR 2016, 765, 766[]
  10. vgl. Kunz, DB 2017, 232, 233[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2016 – IX ZR 291/14, NJW 2016, 3430 Rn. 6; BGH, Urteil vom 06.03.2020 – V ZR 2/19, VersR 2020, 1112 Rn. 10[]
  12. OLG Celle, Urteil vom 28.06.2018 – 16 U 36/18[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1999 – IX ZR 63/98, BGHZ 141, 96, 102[]
  14. BGH, Urteil vom 15.11.2018 – IX ZR 229/17, NZI 2019, 333 Rn. 26[]
  15. BGH, Urteil vom 15.09.2016 – IX ZR 250/15, NZI 2017, 68 Rn. 23; Gehrlein, DB 2017, 472, 476[]
  16. Rössler/Troll/Halaczinsky, BewG, 2019, § 9 Rn. 14 zu § 9 BewG[]
  17. vgl. OLGR Düsseldorf 1994, 87, 88[]
  18. vgl. BGH, Urteil vom 25.06.1992 – IX ZR 4/91, NJW 1992, 2421, 2423; vom 02.04.1998 – IX ZR 232/96, NJW-RR 1998, 1057, 1061[]
  19. BGH, Urteil vom 07.04.1989 – V ZR 252/87, BGHZ 107, 156, 159 zum Schenkungswiderruf nach § 530 BGB; vgl. für § 4 Abs. 1 AnfG BGH, Urteil vom 15.12.2016 – IX ZR 113/15, NJW 2017, 1035 Rn. 13 ff; vgl. auch Schmidt/Ganter/Weinland, InsO, 19. Aufl., § 134 Rn. 61; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 7. Aufl., § 134 Rn. 29; Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2016, § 134 Rn. 53 f; MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl., § 134 Rn. 42; Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 134 Rn. 34 f[]
  20. BGH, Urteil vom 13.10.2016 – IX ZR 184/14, BGHZ 212, 272 Rn. 14; vom 19.07.2018 – IX ZR 296/17, NJW 2018, 3018 Rn. 17[]
  21. Scheingeschäft, § 117 BGB; BAG, ZIP 2014, 2519 Rn. 21; Ganter, WuB 2017, 161, 163[]
  22. BGH, Beschluss vom 21.04.2010 – IV ZR 172/09 10[]
  23. BGH, Urteil vom 29.10.1996 – XI ZR 319/95, ZIP 1996, 2159, 2161[]
  24. BGBl. I S. 2866[]
  25. BGH, Urteil vom 12.09.2019 – IX ZR 264/18, NZI 2019, 851 Rn. 27[]
  26. BGH, Urteil vom 16.04.2015 – IX ZR 68/14, NZI 2015, 654 Rn.20[]
  27. BGH, Urteil vom 16.04.2015, aaO Rn.20 zu § 3 Abs. 1 AnfG[]
  28. BGH, Urteil vom 10.07.2014 – IX ZR 50/12, NZI 2014, 811 Rn. 11 zu § 3 Abs. 1 AnfG[]
  29. vgl. Lüdtke/Schulz, ZVI 2019, 291; Klühs, RNotZ 2010, 516; vgl. auch BGH, Urteil vom 16.04.2015 – IX ZR 68/14, NZI 2015, 654 Rn. 17[]
  30. vgl. BGH, Urteil vom 16.09.1999 – IX ZR 204/98, NJW 1999, 3636, 3637 unter III. 2., insoweit in BGHZ 142, 284 nicht abgedruckt; BGH, Urteil vom 21.02.2008 – IX ZR 209/06, NZI 2008, 372 Rn. 11[]
  31. BGH, Beschluss vom 23.06.2008 – GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10; BGH, Urteil vom 20.05.2009 – VIII ZR 247/06, NJW 2009, 2532 Rn. 15[]