Ist eine behauptete Aberkennung der Unternehmereigenschaft ebenso wie die verzögerte bzw. unterbliebene Auszahlung von Vorsteuerbeträgen nicht für den Verlust des Unternehmenswertes eines Unternehmens ursächlich geworden, kommt ein auf einem Verstoß gegen europäisches Recht beruhender Staatshaftungsanspruch gegen ein Bundesland nicht in Betracht.

Mit dieser Begründung hat das Brandenburgische Oberlandesgericht in dem hier vorliegenden Fall der DEUBA Glas Großräschen GmbH i. L., die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts Cottbus gegen das Land Brandenburg zurückgewiesen. Die Klägerin begehrt vom Land Brandenburg Schadensersatz in Höhe von inzwischen rund 66 Mio. € zzgl. Zinsen, insgesamt rund 100 Mio. €. Sie wirft dem Land vor, dessen Finanzbehörden hätten in den 1990er Jahren in rechtswidriger Weise die Anerkennung ihrer umsatzsteuerrechtlichen Unternehmereigenschaft in der Aufbauphase ihres Unternehmens versagt. Dadurch sei ihr ein Schaden in Gestalt verloren gegangener Investitionen, entgangenem Gewinn und Kosten für Rechts- und Steuerberatung entstanden.
Die Klägerin wurde im Jahr 1992 gegründet. Sie war Teil einer aus fünf GmbHs bestehenden Unternehmensgruppe, an der der bayerische Unternehmer Dr. Peter Niedner als Geschäftsführer und Gesellschafter beteiligt war. Die Unternehmensgruppe befasste sich mit der Herstellung von neuen Baustoffen, sog. KeraGlas und KeraBims, die auf einer Betriebsstätte in Großräschen hergestellt werden sollten. Eines der Betriebsgrundstücke war kontaminiert und sollte aufgrund eines im August 1992 geschlossenen Sanierungsvertrages mit der Treuhandanstalt von der Klägerin saniert werden. Es kam zum Streit zwischen den Vertragsparteien, der zur Kündigung des Vertrages durch die Treuhandanstalt im August 1993 führte. Den gegen die Treuhandanstalt geführten Rechtsstreit hat die Klägerin verloren.
Das Finanzamt leitete im März 1994 eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin ein. Diese endete mit einem Prüfbericht vom 1.12.1994, wonach im Hinblick auf Abriss- und Aufräumarbeiten auf fremden Boden die Unternehmereigenschaft anerkannt, aber im Hinblick auf die Errichtung eines KeraGlas-Werks versagt wurde. Auf dieser Grundlage ergingen ab Februar 1995 entsprechende Umsatzsteuerbescheide. Darin wurde die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin hinsichtlich der angemeldeten Umsätze zur Errichtung eines Glaswerks verneint. Die Klägerin stellte am 2.12.1996 einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens (heute: Insolvenzverfahrens), der mangels Masse zurückgewiesen worden ist. Die Klägerin befindet sich seitdem in Liquidation. Die Klägerin hat im Jahre 2005 Klage erhoben und vom Land Brandenburg Schadensersatz mit der Begründung begehrt, die Finanzbehörden hätten ihr in der Aufbauphase zu Unrecht die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft aberkannt. Ihre Schadensersatzforderung hat sie im Prozess zunächst mit rund 34 Mio. Euro, zuletzt mit 66 Mio. Euro beziffert. Zuzüglich Zinsen seit 1996 macht dies einen Betrag in Höhe von rund 100 Mio. Euro aus. Dabei handelt es sich um den behaupteten Unternehmenswert der Klägerin zum Stichtag 31.12.1994, der durch das Verhalten der Finanzbehörden vernichtet worden sein soll.
Das Landgericht Cottbus hat die Klage abgewiesen und die Klageforderung – damals noch 34 Mio. Euro zuzüglich Zinsen – als verjährt angesehen. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 26. Februar 2010 mit derselben Begründung zurück. Der Bundesgerichtshof hat am 12. Mai 2011 auf die Revision der Klägerin dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts komme ein auf einem Verstoß gegen europäisches Recht beruhender Staatshaftungsanspruch gegen das Land Brandenburg auf der Grundlage des nunmehr im Wege der Beweiserhebung festgestellten Sachverhalts nicht in Betracht.
Es müsse nicht entschieden werden, ob die Finanzbehörden gegen eine europäische Richtlinie zur Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts verstoßen und der Klägerin zu Unrecht die Unternehmereigenschaft und damit die Vorsteuerabzugsberechtigung aberkannt hätten.
Denn die behauptete Aberkennung der Unternehmereigenschaft ebenso wie die verzögerte bzw. unterbliebene Auszahlung von Vorsteuerbeträgen sei nach den Umständen des Falls jedenfalls nicht für den Verlust des Unternehmenswertes der Klägerin ursächlich geworden. Die Gesellschafter des Unternehmens hätten aufgrund des Streits mit der Treuhandanstalt im Zusammenhang mit der Sanierung des Betriebsgrundstücks bereits im Januar 1994 und damit schon vor dem Bekanntwerden von Zweifeln des Finanzamtes an der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin beschlossen, dass nicht die Klägerin, sondern eine ihrer Schwestergesellschaften das geplante Glaswerk errichten solle. So habe die DEUBA Glas GmbH, die später in Kera Glas GmbH umbenannt wurde und an der Herr Dr. Peter Niedner ebenfalls beteiligt war, am 10.2.1994 Fördermittel für die Errichtung einer Betriebsstätte zur Herstellung von KeraGlas bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg beantragt. Sämtliche Rechte und Pflichten aus bereits abgeschlossenen Verträgen betreffend die Glaswerkerrichtung habe die Klägerin mit einem wirksamen Vertrag am 30.6.1994 auf die Kera Glas GmbH übertragen. Es sei auch nicht dargelegt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs für die betroffenen Umsatzsteueranmeldungen zur Insolvenz der Klägerin geführt habe. Denn sie habe ihre mangelnde Liquidität in ihrer Bilanz zum 31.12.1996 nicht mit drohenden Steuernachzahlungen begründet, sondern u. a. mit der Verurteilung zur Zahlung von 1,6 Mio. DM an die Treuhandanstalt. Soweit die Klägerin nach Zurückverweisung der Sache durch den Bundesgerichtshof mehr als 34 Mio. Euro nebst Zinsen beansprucht habe, sei die Klageforderung verjährt.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen.
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. Mai 2013 – 2 U 13/08