Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung kann als laufende Geldleistung insgesamt wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. § 850e ZPO gilt entsprechend (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2 Satz 1 ZPO sind mehrere Arbeitseinkommen auf Antrag des Insolvenzverwalters (§ 36 Abs. 4 Satz 2 InsO) vom Insolvenzgericht als dem besonderen Vollstreckungsgericht bei der Pfändung zusammenzurechnen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2a Satz 1 ZPO sind mit dem Arbeitseinkommen ebenfalls auf Antrag des Insolvenzverwalters auch Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterworfen sind. Analog § 850e Nr. 2 und 2a ZPO werden auch unterschiedliche laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammengerechnet, soweit sie pfändbar sind.
Die Pfändbarkeit von Sozialleistungen ergibt sich aus § 54 SGB I. Danach sind laufende Geldleistungen unter den Voraussetzungen des § 54 Abs. 3 SGB I unpfändbar. Im Übrigen können sie nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Wie das Landgericht richtig gesehen hat, ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung deswegen nur dann unpfändbar, wenn sie nach § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I dafür bestimmt ist, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.
Die Verletztenrente nach § 56 SGB VII ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts in voller Höhe nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar. Sie fällt nicht unter § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Denn diese Schutzvorschrift erfasst nicht Leistungen, die den durch Körper- oder Gesundheitsschäden bedingten Einkommensverlust ausgleichen, weil dadurch kein Mehraufwand ausgeglichen wird.
Von den Zivilgerichten wurde die gesetzliche Unfallrente bislang als pfändbar angesehen. Ebenso hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden: Die Verletztenrente nach § 56 SGB VII stelle keine § 53 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unterfallende Leistung dar. Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung zwar abgeändert, zu dieser Frage jedoch keine Stellung genommen, weil es die Anfechtungsklagen im Gegensatz zum Landessozialgericht für unzulässig erachtet hat.
Die Literatur stimmt dem ganz überwiegend zu. Die Verletztenrente nach §§ 56 ff. SGB VII gleiche nur den durch Körper- und Gesundheitsschäden bedingten Einkommensverlust aus und falle deswegen nicht unter § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Dem entspricht die Handhabung in der Praxis. Erwogen wird allenfalls, ob ein der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechender Teil der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unpfändbar ist.
Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach den Regelungen der §§ 56 ff SGB VII nicht dazu bestimmt, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen (§ 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I), ihr kommt vielmehr eine Lohnersatzfunktion zu.
Auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung diese Lohnersatzfunktion der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung betont.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem Erwerbsschaden des Unfallgeschädigten in vollem Umfang kongruent, weil die Zweckbestimmung dieser Rente ausschließlich im Ausgleich des (abstrakt berechneten) Erwerbsschadens liegt (§ 116 SGB X). Sie stellt eine gesetzlich geregelte Entschädigung dafür dar, dass der Verletzte infolge des Unfalls in seiner Fähigkeit beeinträchtigt ist, sich einen Erwerb zu verschaffen. Dabei wird nicht auf den tatsächlich eingetretenen Verdienstentgang abgestellt, sondern nach Bruchteilen der vollen Erwerbsfähigkeit ermittelt, inwieweit der Verletzte mit den ihm verbliebenen Kräften auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar noch in Wettbewerb treten kann. Die Verletztenrente stellt daher eine laufende pauschale Entschädigung für Erwerbseinbußen dar.
Auch hat der Bundesgerichtshof nicht im Hinblick auf § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI die Kongruenz zwischen dem zivilrechtlichen Erwerbsschaden und der vom Unfallversicherer gezahlten Verletztenrente teilweise verneint. § 93 Abs. 1 SGB VI trifft im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung eine besondere Regelung für den Fall, dass die gesetzliche Rente mit weiteren Sozialleistungen zusammentrifft. Diese Regelung bezweckt die Verhinderung einer Doppelversorgung durch funktionsgleiche Leistungen aus verschiedenen Versicherungssystemen. § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI regelt davon abweichend, dass bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge ein Teil der Verletztenrente aus der Unfallversicherung unberücksichtigt bleibt, um eine Besserstellung Schwerverletzter zu erreichen. Doch ist eine Absicht des Gesetzgebers, der Verletztenrente, über die bestehende Rechtslage hinausgehend, eine grundsätzlich neue Funktion – und sei es auch nur für einen Teilbetrag – zuzuweisen, aus dieser Regelung nicht erkennbar.
Der Bundesgerichtshof hat die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berufung auf die Lohnersatzfunktion unterhaltsrechtlich als Einkommen des Rentenempfängers angerechnet. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verletztenrente bei der Ermittlung des wohngeldrechtlich maßgebenden Einkommens insgesamt angerechnet, weil sie eine laufende pauschale Entschädigung für einen abstrakt berechneten Erwerbsschaden durch unfallbedingte Erwerbseinbußen gewährt. Das Bundessozialgericht hat im Verhältnis der nachrangig zu leistenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz zur Verletztenrente nach § 56 SGB VII (§ 76 BSHG, heute § 82 SGB XII) den Zweck der Verletztenrente im Lohnersatz gesehen.
Allerdings hat das Landgericht Karlsruhe mit Recht auf den tatsächlichen Funktionswandel der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufmerksam gemacht. Das Bundessozialgericht betont in seiner Rechtsprechung, dass die Verletztenrente neben der Funktion des Einkommensersatzes auch die der Kompensation immaterieller Schäden und des Mehrbedarfsausgleichs erfülle. Das bedeute jedoch nicht, dass diese Funktionen einer “Zweckbestimmung” im Sinne des § 77 Abs. 1 BSHG aF (§ 83 Abs. 1 SGB XII) gleichzuachten wären. Die von der Rechtsprechung aufgezeigten Funktionen ergäben sich nicht – wie dies § 77 Abs. 1 BSHG (§ 83 Abs. 1 SGB XII) voraussetzten – unmittelbar aus dem Gesetz oder dem Gewährungszusammenhang.
Diese Überlegungen gelten auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 54 SGB I gepfändet werden kann.
Dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung lässt sich nicht entnehmen, dass die Verletztenrente auch nur teilweise nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sein soll. Dort ist nicht geregelt, dass durch die Rentenzahlung immaterielle Schäden kompensiert und der Mehraufwand ausgeglichen werden soll. §§ 56 ff SGB VII klären nur den Beginn, die Dauer und die Höhe sowie die Berechnungsmodalitäten der Verletztenrente. Nach dieser gesetzgeberischen Konzeption handelt es sich daher bei der Verletztenrente um eine abstrakt berechnete Verdienstausfallentschädigung, die ebenso wie der Arbeitslohn selbst der Sicherung des Lebensunterhalts dient.
Auch wenn der gesetzlichen Unfallversicherung zusätzlich die Funktion zukommt, Nichterwerbsschäden abzugelten, ergibt sich dies nicht aus der gesetzlichen Regelung der Verletztenrente in §§ 56 ff SGB VII, sondern folgt aus der tatsächlichen Änderung der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Rahmenbedingungen, die dazu geführt hat, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bei leichten oder mittelschweren Unfällen keine oder fast keine Lohneinbußen und auch bei schweren Unfällen nur teilweise Lohneinbußen verursacht. Dieser “tatsächliche” oder “wirtschaftliche Funktionswandel” ist jedoch nicht mit einer Zweckbestimmung durch den Gesetzgeber selbst gleichzusetzen.
Die generelle Unpfändbarkeit der Ansprüche der Schuldnerin gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung wäre auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu rechtfertigen. Zu den Eigentumsrechten im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG gehören auch schuldrechtliche Forderungen. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz erstreckt sich insbesondere auf das Befriedigungsrecht des Gläubigers. Der Staat, der selbst das Zwangsvollstreckungsmonopol ausübt, darf den davon betroffenen Gläubigern das Einkommen bestimmter Schuldnerkreise nicht generell als Haftungsgrundlage entziehen. Pfändungsverbote sind nur aus Gründen des Sozialstaatsprinzips (Art.20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) gerechtfertigt, um die eigene Lebensgrundlage des Schuldners durch Pfändungsfreibeträge (§§ 850 ff ZPO) zu sichern.
Schließlich ist den Anrechnungsvorschriften der § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB IV und § 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI nicht zu entnehmen, dass die Versichertenrente nach § 56 SGB VII zumindest in Höhe der Grundrente unpfändbar sein müsse. Der Gesetzgeber lässt schon nicht einen der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechenden Betrag bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung in allen sozialrechtlichen Anrechnungsvorschriften unberücksichtigt. Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist eine Privilegierung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe der Grundrente nach § 31 BVG vielmehr nach §§ 11, 11a SGB II nicht vorgesehen. Eine dahin erweiterte Auslegung des § 11a Abs. 1 Nr. 2 SGB II kommt angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift grundsätzlich nicht in Betracht. Im Übrigen folgt aus der teilweisen Privilegierung der Verletztenrente in Höhe der Grundrente im Recht der Sozialleistungen noch nicht die entsprechende Unpfändbarkeit. Diese hätte der Gesetzgeber in § 54 SGB I ausdrücklich regeln müssen.
Von Verfassungs wegen ist die Unpfändbarkeit eines Teils der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht geboten. Schützenswerte Interessen der Schuldnerin werden durch die Möglichkeit der Pfändung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in vollem Umfang, der Zusammenrechnung ihrer beiden Renten und der sich daraus gegebenenfalls ergebenden teilweisen Pfändbarkeit nicht berührt. Wegen ihrer (konkret darzulegenden) krankheitsbedingten Mehraufwendungen kann sie nämlich nach § 850f Abs. 1 Buchst. b ZPO, auf den § 54 Abs. 4 SGB I verweist, eine Erhöhung des unpfändbaren Betrages verlangen, wenn die Voraussetzungen dieser Regelung vorliegen.
Ebenso ist die gesetzliche Altersrente nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Oktober 2016 – IX ZB 66/15