Ein per Mahnbescheid geltend gemachter Anfechtungsanspruch ist nicht schon deshalb verjährt, weil dem Anfechtungsempfänger vor Ablauf des dritten Jahres keine Anfechtungserklärung zugegangen ist.

Diese Argumentation missversteht das Wesen der Anfechtung. Sie beruht auf der Annahme, dabei handele es sich – wie bei der Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB – um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die entsprechend § 143 Abs. 1 BGB erst mit ihrem Zugang Wirksamkeit erlange. Die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO muss jedoch nicht – erst recht nicht ausdrücklich – erklärt werden, um wirksam ausgeübt zu werden. Sie ist kein Gestaltungsrecht, sondern lediglich das Geltendmachen der Rechtsfolgen, die sich aus der von selbst bestehenden Anfechtbarkeit gemäß § 143 InsO ergeben. Für die Ausübung des Anfechtungsrechts reicht es darum aus, dass die Anfechtungsabsicht erkennbar ist.
Von der Ausübung des Anfechtungsrechts ist die Frage zu unterscheiden, ob die Verjährung des Anfechtungsanspruchs (§ 146 InsO) gehemmt ist. Dies beurteilt sich allein nach den §§ 203 ff. BGB. Sind die Voraussetzungen eines der dort genannten Tatbestände erfüllt, ist die Verjährung bezüglich aller davon erfassten Rechtshandlungen des Schuldners, die der Insolvenzverwalter hinreichend erkennbar anfechten will, gehemmt. Wird im Prozess ein Sachverhalt vorgetragen und festgestellt, der die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands erfüllt, und erfolgte die Klageerhebung nach Maßgabe der §§ 203 ff. BGB verjährungshemmend bzw. wurde rechtzeitig ein verjährungshemmender, hinreichend individualisierter Mahnbescheid zugestellt, ist der Rückgewähranspruch nach § 143 InsO demnach auch dann begründet und durchsetzbar, wenn der Anfechtungsgegner erst nach Ablauf der Verjährungsfrist von der Anfechtungsabsicht des Insolvenzverwalters Kenntnis erlangt. Nach dieser Rechtslage kommt es auf die weiteren Ausführungen dazu, ob im Mahnbescheid eine “Anfechtungsabsicht” zum Ausdruck kam, nicht an.Die gemäß § 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB am 31.12 2011 eintretende Verjährung wurde durch den Antrag auf Erlass des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
Der durch die unrichtige Adressierung des Mahnantrags erforderliche Schriftwechsel zwischen Mahngericht und dem Kläger führte nicht zu einer rechtserheblichen Verzögerung der Zustellung. Zwar wurde der Mahnbescheid dem Anfechtungsgegner vorliegend nicht mehr vor Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt. Die Zustellung erfolgte jedoch “demnächst” iSd. § 167 ZPO. Dafür besteht keine absolut bestimmte zeitliche Obergrenze. Die Zustellung erfolgt von Amts wegen. Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs können nicht von der die Zustellung veranlassenden Partei beeinflusst werden. Darum muss sich die klagende Partei Verzögerungen der Zustellung, die durch die Sachbearbeitung des Gerichts sowie durch Zweifel des Mahngerichts an seiner Zuständigkeit verursacht sind, grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Vor dem Hintergrund des § 691 Abs. 2 ZPO ist im Regelfall davon auszugehen, dass eine Zustellung erst dann nicht mehr “demnächst” erfolgt, wenn ein nachlässiges Verhalten der Partei zu einer Verzögerung der Zustellung des Mahnbescheids von mehr als einem Monat führt. Anderenfalls stünde der Antragsteller, der Antragsmängel behebt, schlechter als derjenige, der stattdessen zum Klageverfahren übergeht. Die Zustellung am 27.01.2012 erfolgte deshalb noch “demnächst”.
Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids war auch hinreichend individualisiert.
Die Zustellung eines Mahnbescheids hemmt die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nur dann, wenn dieser im Antrag auf Erlass des Mahnbescheids in einer den Anforderungen des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entsprechenden Weise hinreichend individualisiert worden ist. Dazu ist erforderlich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wann diese Anforderungen erfüllt sind, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab. Zur Individualisierung ist nicht zwingend erforderlich, dass dem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ergänzende, den Anspruch konkretisierende Anlagen beigefügt werden.
Nach diesen Grundsätzen ist ein zunächst mit einem Mahnbescheid verfolgter Anfechtungsanspruch hinreichend individualisiert, wenn der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids einen Sachverhalt erkennen lässt, der die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands erfüllen kann. Eine Substantiierung dieses Anfechtungstatbestands oder gar seine Begründung ist dafür nicht erforderlich. Eine knappe Kennzeichnung des geltend gemachten Anspruchs, die erkennen lässt, auf welchen Lebenssachverhalt sich der Insolvenzverwalter stützt, reicht aus. Umfangreiche Erläuterungen wären mit der auf eine schnelle Erledigung ausgerichteten Zielsetzung des Mahnverfahrens, das nach dem in § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB kodifizierten Willen des Gesetzgebers verjährungshemmende Wirkung haben kann und soll, nicht vereinbar.
Diesen Anforderungen genügt der vorliegende Antrag. Unter Heranziehung der darin enthaltenen drei Angaben “Rückgewähr des Arbeitsentgelts für März 2008 von 1.776, 30 Euro netto”, “Zahlung über das Konto der H M” und “auf Grund Insolvenzanfechtung” ließ der Mahnbescheid für den Anfechtungsgegner erkennen, auf welchen Lebenssachverhalt der Kläger seine Forderung gründete, und ermöglichte ihm die Entscheidung, ob er sich gegen den umschriebenen Anspruch zur Wehr setzen wollte. Dem Anfechtungsgegner (Arbeitnehmer) war bekannt, dass das Arbeitsverhältnis nicht zwischen ihm und der im Mahnbescheid genannten Frau M, sondern mit dem Schuldner bestand. Damit war für ihn erkennbar, dass die geltend gemachte Rückforderung des Nettoentgelts für März 2008 darauf gestützt wurde, dass das Gehalt für diesen Monat nicht durch den Arbeitgeber, sondern durch eine dritte Person gezahlt worden war. Mehr war für eine zur verjährungshemmenden Wirkung ausreichende Individualisierung eines Mahnbescheids nicht zu verlangen.
Der Anspruch ist auch nicht verwirkt.
Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und dient dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Sie hat jedoch nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Weiterhin muss – als Zumutbarkeitsmoment – das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem in Anspruch Genommenen die Erfüllung des Anspruchs oder die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. November 2014 – 6 AZR 869/13