Der (Einkommen-)Steuerbescheid ist nicht dem ehemaligen Insolvenzschuldner, sondern dem Insolvenzverwalter/Treuhänder als Inhaltsadressaten bekannt zu geben, wenn wegen des Einkommensteuererstattungsanspruchs die Nachtragsverteilung angeordnet worden ist.

Der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder ist insoweit auch prozessführungsbefugt.
Nach § 80 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Zwar entfällt mit Beendigung eines Insolvenzverfahrens neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO), jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1 und 2 InsO), bleibt der Insolvenzverwalter ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen. Denn mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt eine erneute Insolvenzbeschlagnahme ein[1].
Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist der Insolvenztreuhänder befugt, den vorliegenden Prozess für den vormaligen Insolvenzschuldner zu führen. Denn das Klageverfahren hat die Einkommensteuerfestsetzung 2012 zum Gegenstand und zielt damit, wie in dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom …01.2013 -hinreichend bestimmt[2]– festgelegt, auf einen diesbezüglichen Erstattungsanspruch, bei dem der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Dies steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, so dass der Bundesfinanzhof insoweit von einer weiteren Begründung absieht.
Der Einkommensteuerbescheid ist insbesondere nicht bereits deshalb nichtig, weil das Finanzamt diesen (und die Einspruchsentscheidung) „im Rahmen der Nachtragsverteilung“ an den Kläger (und nicht an den vormaligen Insolvenzschuldner) gerichtet und diesem gegenüber auch bekannt gegeben hat.
Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass der angefochtene Einkommensteuerbescheid nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht ergangen ist, da das Amtsgericht im hier entschiedenen Fall mit diesem Beschluss zugleich die Nachtragsverteilung nach § 203 InsO bezüglich der Einkommensteuererstattungsansprüche des Streitjahres angeordnet.
Wird die Nachtragsverteilung angeordnet, so besteht die Insolvenzbeschlagnahme i.S. des § 80 Abs. 1 InsO -wie oben ausgeführt- fort mit der Folge, dass insoweit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin beim (früheren) Insolvenzverwalter liegt[3].
Die Anordnung der Nachtragsverteilung hat deshalb nicht nur zur Folge, dass der Insolvenzverwalter/Treuhänder nach Beendigung des Insolvenzverfahrens (ausnahmsweise) befugt bleibt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen, sondern auch, dass die der Nachtragsverteilung unterfallende Einkommensteuer weiterhin gegenüber dem Insolvenzverwalter/Treuhänder festzusetzen ist. Denn die dem Insolvenzverwalter/Treuhänder im Rahmen der Nachtragsverteilung eingeräumten Befugnisse erstrecken sich nicht nur auf das steuerliche Erhebungs, sondern auch auf das Festsetzungsverfahren.
Die Anordnung der Nachtragsverteilung führt zu einer fortbestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters/Treuhänders. Diese ist im Insolvenz- wie im Nachtragsverteilungsverfahren umfassend und nicht auf die Entgegennahme von Steuererstattungsansprüchen beschränkt. Vielmehr ist der Insolvenzverwalter/Treuhänder auch insoweit ermächtigt und verpflichtet, alle Maßnahmen und Handlungen zu ergreifen, die erforderlich sind, um das massezugehörige Vermögen zu erhalten bzw. zu mehren[4]. Hierzu gehört auch die Abgabe von Steuererklärungen[5].
Folglich sind (Einkommen-)Steuerbescheide während des Nachtragsverteilungsverfahrens nicht an den ehemaligen Insolvenzschuldner, sondern an den Insolvenzverwalter/Treuhänder zu richten und -wie im Streitfall- diesem gegenüber bekannt zu geben, sofern der begründende Sachverhalt -wie hier- während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist[6].
Aus dem Urteil des VI. Senats des Bundesfinanzhofs vom 11.02.2021[7] folgt nichts anderes. Zwar hat der Bundesfinanzhof dort ausgeführt, dass das Finanzamt die Einkommensteuer des (ehemaligen) Insolvenzschuldners im Streitfall nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht (mehr) gegenüber der klagenden Treuhänderin habe wirksam festsetzen können, obwohl auch dort im Anschluss an das Insolvenzverfahren eine Nachtragsverteilung angeordnet war. Dies war jedoch der Bindungswirkung (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO) des rechtskräftigen Urteils des VII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 20.09.2016[8] geschuldet, die von dem VI. Senat in seinem Verfahren zu beachten war[9].
Soweit der hier Senat in dem vorliegenden Revisionsverfahren, in dem er nicht gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO an die vorgenannte Entscheidung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 20.09.2016 – VII R 10/15 gebunden ist, von der dort geäußerten Auffassung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs abweicht, wonach der festsetzende Teil des Einkommensteuerbescheids trotz der Anordnung einer Nachtragsverteilung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens dem ehemaligen Insolvenzschuldner gegenüber bekannt zu geben sei, hat der VII. Senat des Bundesfinanzhofs auf Anfrage mitgeteilt, dass er an der vorgenannten Rechtsauffassung nicht länger festhält.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Dezember 2021 – VI R 41/18
- vgl. BFH, Urteile vom 23.09.2020 – XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rz 19; vom 20.09.2016 – VII R 10/15, Rz 15 f.; vom 26.02.2014 – I R 12/14, Rz 14; und vom 06.07.2011 – II R 34/10, Rz 10 f.; BFH, Beschluss vom 26.02.2014 – I R 59/12, BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016, Rz 9[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.09.2016 – VII R 10/15, Rz 22 ff.[↩]
- BFH, Urteil vom 28.02.2012 – VII R 36/11, BFHE 236, 202, BStBl II 2012, 451, Rz 12[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 18.06.2015 – IX ZB 86/12[↩]
- z.B. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 28.08.2014 – 8 K 3677/13 E, Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht 2015, 149[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 03.08.2016 – X R 25/14, Rz 23; und vom 06.07.2011 – II R 34/10, Rz 10 f.; Sächsisches FG, Urteil vom 18.10.2013 – 4 K 579/13, Rz 12; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.09.2013 – 2 K 2120/12, EFG 2014, 1404, Rz 18; Roth in: Roth, Insolvenzsteuerrecht, 3. Aufl.2020, Steuerverfahrensrecht im Insolvenzverfahren, Rz 3.206[↩]
- BFH, Urteil vom 11.02.2021 – VI R 37/18[↩]
- BFH, Urteil vom 20.09.2016 – VII R 10/15[↩]
- s. BFH, Urteil vom 11.02.2021 – VI R 37/18, Rz 27 ff.[↩]