Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Fall einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG ist entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; die Steuerberichtigung wirkt insolvenzrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurück.

Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
Ob ein Insolvenzgläubiger bereits bis zu der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist oder erst danach, bestimmt sich nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 17 Abs. 2 UStG danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist insoweit, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt gewesen sind.
Beruht der Erstattungsanspruch auf der Berichtigung eines unberechtigten Steuerausweises gemäß § 14c Abs. 2 UStG, kommt es darauf an, ob bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt gewesen ist.
§ 14c Abs. 2 UStG gewährt ‑ebenso wie § 17 Abs. 2 UStG- einen eigenständigen Berichtigungsanspruch. Die (zu berichtigende) Umsatzsteuer entsteht mit der Vornahme des unberechtigten Steuerausweises und besteht materiell-rechtlich nach § 14c Abs. 2 UStG bis zu einer Berichtigung des Steuerbetrags fort. Ob es zu einer solchen Berichtigung tatsächlich kommt, ist auch hier ‑wiederum ebenso wie bei § 17 Abs. 2 UStG- zum Zeitpunkt der Entstehung der Umsatzsteuer ungewiss. Kommt es tatsächlich zu einer Rechnungsberichtigung, so wirkt diese erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung ohne Rückwirkung auf den Besteuerungszeitraum der Rechnungserteilung. Die Berichtigung führt also nicht dazu, dass die nach § 14c UStG geschuldete Steuer rückwirkend auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung entfällt.
Dies ist letztlich auch für die Frage entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Erstattungsanspruch des Rechnungsausstellers in Bezug auf § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstanden ist. Soweit der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 04.02.2005 – VII R 20/04 zu § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG 1999 in der bis zum Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15.12 2003 geltenden Fassung entschieden hat, dass ein entsprechender Anspruch insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Rechnungsausgabe entsteht, hält er daran im Hinblick auf die mit BFH, Urteil in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36 geänderte Rechtsprechung nicht mehr fest.
Besteuerungszeitraum der Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist nach § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG der Zeitraum, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist.
Nach § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG ist die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer der Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass endgültig feststehen muss, dass jedwede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist.
Daran hat sich durch die EuGH-Urteile Senatex und Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turisticos nichts geändert. Denn diese Urteile betreffen die Frage, ob eine Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirkt, und sind für die sich aus § 14c UStG ergebende Steuerschuld ohne Bedeutung.
Im vorliegenden Streitfall ist die Gefährdung des Steueraufkommens erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt worden.
Der Bundesfinanzhof lässt offen, ob sich dies bereits aus dem Umstand ergibt, dass das Finanzamt die nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG erforderliche Zustimmung zu der Steuerberichtigung für den Besteuerungszeitraum 2008 erteilt hat. Nach den Verwaltungsregelungen zur Anwendung des § 14c UStG entscheidet das Finanzamt im Anschluss an die von ihm vorzunehmende Prüfung nicht nur darüber, ob die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist, sondern auch darüber, für welchen Besteuerungszeitraum und in welcher Höhe die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags vorgenommen werden kann (Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 4 UStAE). Diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt. Wenn aber das Finanzamt in einem besonderen Verfahren mittels Verwaltungsakt darüber entscheidet, für welchen Besteuerungszeitraum eine Steuerberichtigung vorzunehmen ist, dann spricht einiges dafür, dass dieser Entscheidung, wenn sie ‑wie im Streitfall- bestandskräftig geworden ist, Bindungswirkung für das weitere Verfahren zukommt, sei es als Grundlagenbescheid oder als Freistellungsbescheid. Andernfalls wäre es nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber mit § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG ein eigenständiges, antragsabhängiges Zustimmungsverfahren geschaffen hat.
Doch braucht diese Frage hier nicht entschieden zu werden; denn auch das Finanzgericht ist im vorliegenden Streitfall ‑ebenso wie das Finanzamt in seiner ursprünglichen Entscheidung- zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gefährdung des Steueraufkommens erst im Jahr 2008 beseitigt wurde. Das ist zutreffend.
Offenbleiben kann schließlich auch, ob die Rechnungsberichtigung zu den materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen gehört, die erfüllt sein müssen, damit ein Erstattungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG entsteht. Zwar hat der Kläger im vorliegenden Streitfall die maßgeblichen Rechnungen nach den Feststellungen des Finanzgericht erst zu Beginn des Jahres 2009 berichtigt. Doch bliebe es auch insoweit bei dem Ergebnis, dass die Gefährdung des Steueraufkommens erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt worden ist.
Allerdings hat das Finanzgericht in einem Klageverfahren gegen einen Abrechnungsbescheid selbst die zutreffende Abrechnung zu ermitteln und den angefochtenen Bescheid teilweise aufzuheben oder zu ändern; das Gericht darf sich nicht darauf beschränken, die Abrechnung des Finanzamt als unzutreffend zu verwerfen. Hat es dies gleichwohl getan, ist eine Zurückweisung der Revision unter Abänderung des Tenors des finanzgerichtlichen Urteils zulässig und geboten.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. November 2016 – VII R 34/15