Urlaubsabgeltung als Masseverbindlichkeit

Die Urlaubsabgeltung ist eine (Neu-)Masseverbindlichkeit, wenn der Arbeitnehmer vom (starken vorläufigen) Insolvenzverwalter bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Arbeitsleistung herangezogen worden ist.

Urlaubsabgeltung als Masseverbindlichkeit

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts will nunmehr die Auffassung vertreten, dass eine quotale Berichtigung dieser Verbindlichkeit der Systematik der Insolvenzordnung widerspricht. Er sieht sich an einer entsprechenden Entscheidung durch das Urteil des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 21.11.2006[1] gehindert und fragt daher gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG beim Neunten Senat an, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhält.

Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Die Voraussetzung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist hier erfüllt, denn das Arbeitsverhältnis endete wie dargelegt am 29.09.2017. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass dem Kläger zu diesem Zeitpunkt noch ein Anspruch auf Erholungsurlaub im Umfang von 20 Arbeitstagen zustand. Er kann demzufolge eine entsprechende Urlaubsabgeltung verlangen. Dieser Abgeltungsanspruch ist eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO.

Die von einer Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer können ihre Entgeltansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§§ 38, 108 Abs. 3 InsO). Sie haben ihre Forderungen insoweit nach §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Dies beruht auf dem in § 1 Satz 1 InsO ausgedrückten Ziel des Insolvenzverfahrens, alle Gläubiger des Schuldners im Regelfall gemeinschaftlich zu befriedigen[2]. Insolvenzforderungen sind zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Forderungen des Gläubigers gegen den Schuldner. Der Zeitpunkt der Entstehung der Forderung sowie deren Fälligkeit sind für diese Einordnung unmaßgeblich. Entscheidend ist, dass ihr Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war bzw. der den Anspruch begründende Tatbestand bereits vor der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen war[3].

Im hier entschiedenen Fall war der Rechtsgrund für den Urlaubsabgeltungsanspruch zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung wegen der bereits zuvor erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits gelegt. Demnach wäre der streitgegenständliche Abgeltungsanspruch eine Insolvenzforderung.

Der Abgeltungsanspruch steht jedoch gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 iVm. Abs. 2 Satz 1 InsO im Rang einer Masseverbindlichkeit.

Auch wenn ausgehend vom oben genannten Ziel des Insolvenzverfahrens die Annahme einer Insolvenzforderung die Regel und die Begründung einer Masseverbindlichkeit die Ausnahme ist[4], gelten Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, kraft gesetzlicher Anordnung nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Gleiches gilt gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Selbst ein aufschiebend bedingter Anspruch kann eine Verbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO darstellen[5]. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO bezieht sich ebenso wie § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO aber allein auf eine Leistung an den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis iSv. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO[6].

§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO sieht die Begründung von Masseverbindlichkeiten vor, „soweit“ der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Der Begriff „soweit“ bedingt entgegen der Ansicht der Revision bezogen auf Arbeitsverhältnisse keine Einschränkung in dem Sinne, dass nur Ansprüche des Arbeitnehmers erfasst werden sollen, welche unmittelbar auf einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung beruhen[7]. Als restriktive Subjunktion schränkt dieser Begriff vielmehr den übergeordneten Sachverhalt ein und stellt sicher, dass nicht jeder Anspruch aus einem Dauerschuldverhältnis eine Masseverbindlichkeit ist, sondern das nur für den Fall gilt[8], dass der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung als Hauptpflicht des Arbeitnehmers in Anspruch nimmt. Er grenzt nach seinem unmissverständlichen grammatikalischen Zusammenhang also nur die Entscheidung zur Inanspruchnahme des Arbeitnehmers von der zu dessen Freistellung ab. Über die Fiktion des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO werden die Ansprüche des zur Arbeitsleistung herangezogenen Arbeitnehmers so behandelt, als ob der starke vorläufige Verwalter das Arbeitsverhältnis selbst durch Neuabschluss begründet hätte, und deshalb als Masseverbindlichkeit eingeordnet[9]. Mit dieser Entscheidung steht nach der Konzeption der Insolvenzordnung also zugleich fest, dass im Gegenzug für die Arbeitsleistung alle Verpflichtungen aus dem nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO fortbestehenden Arbeitsverhältnis vom späteren Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeit zu erfüllen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verpflichtungen gesetzlich, tariflich oder vertraglich begründet sind und ob sie auf eine tatsächliche, konkrete Arbeitsleistung zurückzuführen sind. Es handelt sich um ein „Gesamtpaket“ im Sinne eines Pflichtenbündels. Die Insolvenzordnung sieht diesbezüglich keine Einschränkung der Arbeitgeberpflichten zugunsten der Masse vor. Im Arbeitsverhältnis sind deshalb bei der Vergütung der Arbeitsleistung auch entgeltfortzahlungspflichtige „unproduktive“ Ausfallzeiten (zB aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder Urlaub) zu berücksichtigen[10].

Dies gilt ebenso für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG, auch wenn dieser nicht mehr als Surrogat des auf bezahlte Freistellung gerichteten Urlaubsanspruchs angesehen wird[11]. Der Urlaubsabgeltungsanspruch stellt eine dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis auf gesetzlicher Grundlage zustehende Geldleistung dar[12] und ist damit Teil der vom Arbeitgeber zu erfüllenden Verpflichtungen. Dem steht nicht entgegen, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht durch eine hierauf bezogene Arbeitsleistung verdient werden muss, weil er nur an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft[13].

Die Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Masseverbindlichkeit entspricht dem Zweck des § 55 Abs. 2 InsO und seinem systematischen Zusammenhang mit § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO.

Ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter hat gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO die Pflicht, das Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt[14]. Die Aufgabe der Fortführung eines insolventen Unternehmens wäre ohne einen Schutz der Vertragspartner nicht zu erfüllen, denn diese wären typischerweise nicht bereit, ihre Leistungen für bloße Insolvenzforderungen zu erbringen. § 55 Abs. 2 InsO dient daher dem Schutz der Personen, die Geschäfte mit einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter abschließen oder ihm gegenüber ein Dauerschuldverhältnis erfüllen, das sie mit dem Schuldner vereinbart hatten[15]. Ohne einen adäquaten Schutz ihrer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis würden Arbeitnehmer oftmals die Eigenkündigung einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vorziehen. Damit könnte die von der Insolvenzordnung angestrebte Fortführung des Unternehmens unmöglich werden. Das Arbeitsverhältnis ist jedoch von einer Vielzahl gegenseitiger Pflichten gekennzeichnet, die nicht uneingeschränkt in einem unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Der vom Gesetzgeber bezweckte Ausgleich der Interessen der Gläubigergesamtheit durch eine Unternehmensfortführung und der Interessen der für diese Fortführung benötigten Arbeitnehmer bedingt deshalb, dass auch „unproduktive“ Ausfallzeiten insolvenzrechtlich als Masseverbindlichkeit eingeordnet werden. Entsprechend dieser Zielsetzung beinhaltet § 55 Abs. 2 InsO daher keine Privilegierung der Insolvenzmasse bezüglich einzelner Ansprüche des Arbeitnehmers. Nimmt der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung in Anspruch, muss er folglich auch die urlaubsrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers erfüllen. Dies bedeutet entweder die Gewährung des Urlaubs in natura, dh. Freistellung von der Arbeitspflicht und Zahlung von Urlaubsentgelt als Masseverbindlichkeit, oder die Leistung von Urlaubsabgeltung, falls das Arbeitsverhältnis unmittelbar im Anschluss an die Inanspruchnahme der Arbeitsleistung beendet wird.

§ 55 Abs. 2 InsO ergänzt damit zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO, wonach Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen Masseverbindlichkeiten sind, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Für den Urlaubsabgeltungsanspruch ist dies der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet wird[16]. Ist der Urlaubsabgeltungsanspruch ebenfalls eine Masseverbindlichkeit, falls der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO in Anspruch genommen hat, ist in beiden Konstellationen dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei § 7 Abs. 4 BUrlG letztlich um eine Stichtagsregelung handelt, denn der Abgeltungsanspruch entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird gleichzeitig fällig[17]. Auch für die insolvenzrechtliche Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs sind die Verhältnisse am Stichtag der Beendigung entscheidend.

Dies kann wie jede Stichtagsregelung zu Härten führen. Denkbar ist die Fallgestaltung, dass ein Arbeitnehmer während des Eröffnungsverfahrens zunächst durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur Arbeit herangezogen, dann aber kurz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses freigestellt wurde. Es wird dann vielmehr der Beurteilung im Einzelfall bedürfen, ob ein entsprechendes Freistellungsrecht bestand[18]. Der vorliegende Fall gibt hierzu keinen Anlass.

Mit diesem Verständnis des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO wird der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 Satz 1 InsO) nicht verletzt. Der Gesetzgeber hat die Rechte der Gläubiger durch die Regelungen der Insolvenzordnung differenziert ausgestaltet und sich dafür entschieden, den Inhalt des jeweiligen Rechtsverhältnisses bei der Einordnung der Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO bzw. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO unangetastet zu lassen.

Im hier entschiedenen Fall hat die (vorläufige) Insolvenzverwalterin die Arbeitsleistung des Klägers nach ihrer Bestellung zur starken vorläufigen Insolvenzverwalterin am 6.09.2017 unstreitig bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 29.09.2017 in Anspruch genommen. Deshalb kann der Kläger nach § 55 Abs. 2 Satz 2 iVm. Abs. 2 Satz 1 InsO nicht nur die für die erbrachte Arbeitsleistung unstreitig geleisteten Entgeltzahlungen als Masseverbindlichkeit beanspruchen, sondern auch die streitgegenständliche Urlaubsabgeltung.

Nach Auffassung des hier Sechsten Senats wäre der Abgeltungsanspruch in voller Höhe als Masseverbindlichkeit zu begleichen. Er sieht sich insoweit an einer abschließenden Entscheidung jedoch wegen einer zu § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO ergangenen Rechtsprechung des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts, welche auf § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu übertragen ist, gehindert.

Bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach Insolvenzeröffnung (§ 208 InsO) bestimmt sich die Befriedigung der Massegläubiger nach der in § 209 InsO geregelten Rangfolge. Die Masse dient nunmehr vorrangig der Befriedigung der vom Insolvenzverwalter eingegangenen neuen Verbindlichkeiten, um ihm so den Handlungsspielraum zu geben, den er benötigt, um die Verwertung auch bei Masseunzulänglichkeit zum Abschluss zu bringen. Darum hat sich der Gesetzgeber zu einer Neuordnung der insolvenzrechtlichen Rangfolge der Masseverbindlichkeiten durch Einführung einer in Alt- und Neumasseverbindlichkeiten „gespaltenen“ Rangordnung entschieden[19]. Nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind die Verbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nach den Kosten des Insolvenzverfahrens vorrangig zu befriedigende Neumasseverbindlichkeiten. Für Dauerschuldverhältnisse konkretisieren § 209 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 InsO die Abgrenzung zwischen Alt- und Neumasseverbindlichkeiten[20]. Gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO gelten als Neumasseverbindlichkeiten iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Bezogen auf Arbeitsverhältnisse ist das der Fall, wenn der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer zur Arbeit heranzieht[21]. Die Einordnung von Vergütungsansprüchen als Neumasseverbindlichkeiten rechtfertigt sich regelmäßig nur, wenn der Arbeitnehmer durch tatsächliche Arbeitsleistung zur Anreicherung der Masse beiträgt. Der Masse muss ein wirtschaftlicher Wert zufließen. Das setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt ist[22]. Ist das der Fall, sind allerdings auch die entgeltfortzahlungspflichtigen „unproduktiven“ Ausfallzeiten als Neumasseverbindlichkeit zu vergüten[23].

Bezogen auf Urlaubsansprüche hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts angenommen, Ansprüche auf Urlaubsabgeltung könnten nicht in voller Höhe als Neumasseverbindlichkeit berichtigt werden, weil dadurch die Masse nicht angereichert werde. Eine völlige Vernachlässigung der tatsächlichen Arbeitsleistung für sog. geldwerte Urlaubsansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsabgeltung sei jedoch nicht mit dem Wortlaut des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vereinbar. Sie entspreche auch nicht der Zielsetzung, im Interesse der ordnungsgemäßen Abwicklung des Insolvenzverfahrens die Entgeltansprüche der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer zu sichern. Abweichend von der Konzeption des gesetzlichen Urlaubsrechts sei deswegen im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO der auf die Dauer der tatsächlich entgegengenommenen Arbeitsleistung entfallende „anteilige“ Geldwert des Urlaubs als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen. Maßgeblich sei das Verhältnis der möglichen Arbeitstage im Jahr zu den vom Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit geleisteten Arbeitstagen[24].

In der Literatur wird eine Ausweitung dieser Rechtsprechung auf den nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu bestimmenden Rang der Urlaubsabgeltung befürwortet[25].

Auf § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO wäre die angeführte Rechtsprechung des Neunten Senats zu übertragen, weil sowohl § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO als auch § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO Gläubiger privilegieren, „soweit“ der (starke vorläufige) Insolvenzverwalter „die Gegenleistung in Anspruch genommen hat“. Schon diese Identität des Wortlauts bedingt ein gleiches Verständnis der Tatbestandsvoraussetzung[26].

Eine Aufteilung der Urlaubsansprüche in Masseverbindlichkeit und Insolvenzforderung wäre zwar auch in den Fällen einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO rechnerisch möglich. Der hier zuständige Sechste Senat ist jedoch der Ansicht, dass an der angeführten Rechtsprechung des Neunten Senats zum Urlaubsabgeltungsanspruch bei Masseunzulänglichkeit nicht festgehalten werden sollte.

Die quotale Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs hat keine insolvenzrechtliche Grundlage. Sie hat Rangänderungen von Forderungen zur Folge, die der Insolvenzordnung fremd sind. Die Insolvenzordnung sieht keine Sonderregelungen zum arbeitsrechtlichen Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch vor. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO bzw. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO verbinden mit der Inanspruchnahme der Leistung des Vertragspartners, hier des Arbeitnehmers, vielmehr die ungeschmälerte Belastung der Masse mit dem „Gesamtpaket“ der geschuldeten Gegenleistung. Keine der beiden Normen sieht ihrem Wortlaut nach die Begründung anteiliger Masse- bzw. Neumasseverbindlichkeiten vor[27]. Es bleibt daher nach dem Konzept der Insolvenzordnung bei der Ausgestaltung des Urlaubsrechts nach den urlaubsrechtlichen Regelungen mit den sich dadurch insolvenzrechtlich ergebenden Konsequenzen.

Wird der Arbeitnehmer vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vom Insolvenzverwalter bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Arbeitsleistung herangezogen, wäre die Urlaubsabgeltung daher nach Auffassung des Sechsten Senats nur dann nicht in vollem Umfang als (Neu-)Masseverbindlichkeit zu berichtigen, wenn sie ratierlich verdient würde. Eine derartige Aufteilung des Urlaubsabgeltungsanspruchs lässt sich nach der Rechtsprechung des Neunten Senats jedoch aus dem Urlaubsrecht nicht ableiten. Der Urlaubsanspruch ist keine Gegenleistung für eine bestimmte Arbeitsleistung und kann deshalb keinem bestimmten insolvenzrechtlichen Zeitraum zugeordnet werden[28]. Bezogen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch ist allein der Stichtag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgebend.

Letztlich gründet sich die bisher vorgenommene Aufteilung des Urlaubsabgeltungsanspruchs nur auf wirtschaftliche Überlegungen zur Schonung der Masse, um einen vermeintlichen Widerspruch zur Systematik der Insolvenzordnung zu vermeiden, den der Neunte Senat in der Belastung der Masse mit den Kosten der vollen Urlaubsabgeltung bei Inanspruchnahme der Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesehen hat. Ein solcher Widerspruch liegt hier jedoch nicht vor. Diese Argumentation führt zudem zu unübersehbaren Folgeproblemen, denn mit diesem Argument könnten in Dauerschuldverhältnissen auch andere Ansprüche des Vertragspartners unabhängig von einer ratierlichen Ausgestaltung aufgeteilt werden. Dies ist mit den insolvenzrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.

Der hier Sechste Senat hat allerdings die Rechtsprechung des Neunten Senats zum Urlaubsabgeltungsanspruch als Begründungselement dafür herangezogen, dass alle Sonderzahlungen nur anteilig für den Zeitraum geleisteter Arbeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO zu berichtigen sind[29]. Der Sechste Senat beabsichtigt aus den vorgenannten Gründen, an dieser Rechtsprechung nicht festzuhalten. Bei Sonderzahlungen kann nur deren vertragliche oder tarifvertragliche Ausgestaltung, welche das Insolvenzrecht nicht abändert, für ihren insolvenzrechtlichen Rang maßgeblich sein. Wie bei der Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs ist damit bei stichtagsbezogenen Sonderzahlungen allein der Stichtag entscheidend für die Zuordnung zu einem insolvenzrechtlich relevanten Zeitraum. Liegt dem Anspruch auf eine Sonderzahlung nach seiner (tarif-)vertraglichen Ausgestaltung hingegen die Erbringung von Arbeitsleistung in bestimmten Zeiträumen zu Grunde („pro rata temporis“) und wird der Anspruch nur zu einem anderen Zeitpunkt insgesamt fällig, sind solche arbeitsleistungsbezogenen Sonderzahlungen unverändert dem Zeitraum zuzuordnen, für den sie als Gegenleistung geschuldet sind[30].

Es bedarf daher einer Anfrage nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG beim Neunten Senat, ob dieser an seiner Rechtsauffassung, wonach im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO nur der auf die Dauer der nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit tatsächlich entgegengenommenen Arbeitsleistung entfallende „anteilige“ Geldwert des Urlaubs eine Neumasseverbindlichkeit darstellt, festhält. Es besteht eine entscheidungserhebliche Abweichung. Wäre der auf die Dauer der Inanspruchnahme der Arbeitsleistung des Klägers nach der Bestellung der Beklagten zur starken vorläufigen Insolvenzverwalterin entfallende „anteilige“ Geldwert maßgeblich, wäre die Klage bezüglich des streitbefangenen Urlaubsabgeltungsanspruchs nur teilweise begründet. Der Sechste Senat geht aus den genannten Gründen demgegenüber davon aus, dass der Anspruch in der vollen eingeklagten Höhe als Masseverbindlichkeit zu erfüllen ist.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10. September 2020 – 6 AZR 94/19 (A)

  1. BAG 21.11.2006 – 9 AZR 97/06, BAGE 120, 232[]
  2. BAG 21.02.2013 – 6 AZR 406/11, Rn. 28[]
  3. BAG 11.12.2019 – 7 ABR 4/18, Rn. 32; 14.03.2019 – 6 AZR 4/18, Rn. 13 mwN, BAGE 166, 109[]
  4. BAG 25.01.2018 – 6 AZR 8/17, Rn. 18, BAGE 161, 368[]
  5. BAG 27.07.2017 – 6 AZR 801/16, Rn. 32, BAGE 160, 6[]
  6. BAG 27.07.2017 – 6 AZR 801/16, Rn. 28, aaO; 25.06.2014 – 5 AZR 283/12, Rn. 12, BAGE 148, 290[]
  7. so wohl Uhlenbruck/Sinz 15. Aufl. § 55 InsO Rn. 95 f.[]
  8. Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „soweit“[]
  9. MünchKomm-InsO/Hefermehl 4. Aufl. § 55 Rn. 229[]
  10. vgl. zu § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO BAG 23.03.2017 – 6 AZR 264/16, Rn. 39, BAGE 158, 376; 8.05.2014 – 6 AZR 246/12, Rn. 25[]
  11. BAG 6.09.2018 – 6 AZR 367/17, Rn. 21, BAGE 163, 271[]
  12. BAG 6.05.2014 – 9 AZR 758/12, Rn. 16[]
  13. vgl. BAG 21.02.2013 – 6 AZR 406/11, Rn. 37[]
  14. BAG 14.05.2020 – 6 AZR 235/19, Rn. 97[]
  15. BT-Drs. 12/2443 S. 126; vgl. auch MünchKomm-InsO/Hefermehl 4. Aufl. § 55 Rn. 219[]
  16. BAG 18.10.2011 – 9 AZR 303/10, Rn. 32; 25.03.2003 – 9 AZR 174/02, zu A II 2 der Gründe, BAGE 105, 345[]
  17. vgl. BAG 22.01.2019 – 9 AZR 149/17, Rn. 37; 17.10.2017 – 9 AZR 80/17, Rn. 29 mwN[]
  18. vgl. hierzu BAG 6.09.2018 – 6 AZR 367/17, Rn. 28, BAGE 163, 271; 17.12.2015 – 6 AZR 186/14, Rn. 27, BAGE 154, 28[]
  19. BAG 22.02.2018 – 6 AZR 868/16, Rn. 12, BAGE 162, 58[]
  20. vgl. BT-Drs. 12/2443 S. 220[]
  21. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 264/16, Rn. 33, BAGE 158, 376[]
  22. BAG 8.05.2014 – 6 AZR 246/12, Rn. 24[]
  23. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 264/16, Rn. 39, aaO; 8.05.2014 – 6 AZR 246/12, Rn. 25[]
  24. BAG 21.11.2006 – 9 AZR 97/06, Rn. 25 ff., BAGE 120, 232; kritisch Berscheid/Bertram jurisPR-ArbR 31/2008 Anm. 2; Betz BB 2015, 886, 888 ff.[]
  25. vgl. Uhlenbruck/Sinz 15. Aufl. § 55 InsO Rn. 69; Windel Anm. AP InsO § 209 Nr. 7 unter IV mwN[]
  26. in diesem Sinne bereits BAG 23.03.2017 – 6 AZR 264/16, Rn. 37, BAGE 158, 376[]
  27. vgl. Betz BB 2015, 886, 888[]
  28. BAG 25.01.2018 – 6 AZR 8/17, Rn. 24, BAGE 161, 368; 15.02.2005 – 9 AZR 78/04, zu II 2 a der Gründe, BAGE 113, 371; 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, zu B II 2 b der Gründe, BAGE 108, 357[]
  29. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 264/16, Rn. 30 ff., BAGE 158, 376[]
  30. vgl. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 264/16, Rn.20, aaO[]