Der starke vorläufige Insolvenzverwalter – und die zweifache Berichtigung der Umsatzsteuer

Bestellt das Insolvenzgericht einen sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter, ist der Steuerbetrag für die steuerpflichtigen Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen (erste Berichtigung). Eine nachfolgende Vereinnahmung des Entgelts durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter führt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung des Steuerbetrages und begründet eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO.

Der starke vorläufige Insolvenzverwalter – und die zweifache Berichtigung der Umsatzsteuer

Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Steuerbetrag für steuerpflichtige Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt für eine uneinbringliche Forderung nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG). Diese erneute Berichtigung ist nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG erst im Zeitpunkt der Vereinnahmung vorzunehmen.

Uneinbringlich ist ein Entgelt i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs werden noch ausstehende Entgelte für zuvor erbrachte steuerpflichtige Leistungen eines Unternehmers gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich, wenn über sein Vermögen gemäß § 27 InsO das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Denn gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten oder über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Folglich ist der Unternehmer dann aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da sie im Rahmen der Masseverwaltung und Masseverwertung zu vereinnahmen sind und damit zum Bereich der Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 InsO gehören.

Auch wenn das Insolvenzgericht -vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO)- gemäß § 21 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug bestellt, ist der Steuerbetrag für die steuerpflichtigen Leistungen, die der Unternehmer vor oder nach der Verwalterbestellung bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbracht hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen.

Zwar ergibt sich das Recht zum Forderungseinzug hier nicht aus den einem Insolvenzverwalter gemäß §§ 80 ff. InsO zustehenden Befugnissen. Erlässt das Insolvenzgericht aber entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 3 InsO bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO) das Verbot an Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, und ermächtigt es den vorläufigen Insolvenzverwalter, Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 22 Abs. 2 InsO), wird damit das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber Drittschuldnern gemäß § 24 Abs. 1 InsO in einer Weise geregelt, die § 80 Abs. 1 und § 82 InsO entspricht.

Nichts anderes gilt für die im Streitfall vorliegende Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 InsO). Auch hierdurch ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Insolvenzschuldner und dem (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 24 Abs. 1 InsO in einer Weise geregelt worden, die § 80 Abs. 1 und § 82 InsO entspricht.

Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 InsO), so geht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter über. Die Bestimmungen in §§ 81 und 82 InsO gelten entsprechend (§ 24 Abs. 1 InsO). Die rechtlichen Befugnisse des starken vorläufigen Insolvenzverwalters entsprechen denjenigen eines Insolvenzverwalters, der ebenfalls berechtigt ist, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners zu verwalten und über es zu verfügen (§ 80 Abs. 1 InsO).

Nach diesen Grundsätzen sind die von der GmbH vor der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung erbrachten Leistungen durch die Bestellung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters über das Vermögen der GmbH uneinbringlich geworden. Vereinnahmt der starke vorläufige Insolvenzverwalter danach Entgelte für diese Leistungen, ist die Umsatzsteuer (zum zweiten Mal) zu berichtigen. Die dadurch entstehende Umsatzsteuer stellt eine Masseverbindlichkeit dar.

Die Umsatzsteuer für die von der GmbH ausgeführten steuerpflichtigen Leistungen ist mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungsausführung entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG). Die Steuerbeträge sind allerdings durch die Bestellung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters uneinbringlich geworden und nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen.

Die Vereinnahmung der zuvor uneinbringlich gewordenen Entgelte durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter führt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung.

Die aufgrund dieser Vereinnahmung entstehende Umsatzsteuer stellt eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 InsO dar.

Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten als Masseverbindlichkeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Ebenso gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 4 InsO).

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) begründet die aufgrund der Vereinnahmung der ausstehenden Entgelte durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter (als Insolvenzverwalter) gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG entstehende Umsatzsteuer eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen. Für die Umsatzsteuer, die aufgrund der vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter zuvor vereinnahmten Entgelte entsteht, folgt die Einstufung als Masseverbindlichkeiten aus § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Deswegen braucht hier nicht auf § 55 Abs. 4 InsO eingegangen zu werden.

Die vom Finanzgericht Berlin-Brandenburg an dieser Rechtsprechung geübte Kritik dringt nicht durch.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für den Eintritt der Uneinbringlichkeit nicht auf den (formellen) Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter an. Maßgeblich ist vielmehr das damit einhergehende rechtliche Unvermögen der GmbH (als Gläubigerin und spätere Insolvenzschuldnerin), die ausstehenden Forderungen für die von ihr ausgeführten Leistungen einzuziehen. Das rechtliche Unvermögen des Gläubigers, seine Forderung durchzusetzen, steht -anders als das Finanzgericht und der starke vorläufige Insolvenzverwalter meinen- wirtschaftlich der Zahlungsunfähigkeit oder dem mangelnden Zahlungswillen des Schuldners gleich, die die Hauptanwendungsfälle des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG bilden.

Diese -hier allein maßgebliche- Auslegung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG verstößt entgegen der Auffassung des Finanzgericht weder gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO) noch führt sie zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Fiskus.

Soweit die Auffassung vertreten wird, die Aufteilung in “Unternehmensteile” finde keine Stütze im Umsatzsteuergesetz, vermag der Bundesfinanzhof dem nicht zu folgen.

Der Grundsatz der Unternehmenseinheit nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG gilt auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort. Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil, Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen), zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können.

Die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist -entgegen der Auffassung des Finanzgericht Berlin-Brandenburg- mit Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL vereinbar. Das hat der Bundesfinanzhof bereits im Einzelnen dargelegt.

Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht trotz der im österreichischen Recht möglicherweise abweichenden insolvenzrechtlichen Behandlung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten nicht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 1. März 2016 – XI R 21/14