Die Einkommensteuer ist als Masseschuld aufgrund massebezogenen Verwaltungshandelns gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen, wenn dieser die selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners im Interesse der Masse erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht für seinen Unterhalt belassen werden, und die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen.

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Sonstige nach der Eröffnung begründete Steueransprüche sind insolvenzfrei und gegen den Schuldner festzusetzen.
Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO diejenigen Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall sind die Einkommensteuerschulden des Streitjahres durch die Verwaltung der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO begründet worden:
Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss die Verbindlichkeit auf eine ‑wie auch immer geartete- Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein. Die Insolvenzmasse erfasst nach § 35 InsO a.F. (jetzt § 35 Abs. 1 InsO n.F.) das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, mithin auch der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens.
Ein vom Insolvenzschuldner vor Insolvenzeröffnung ausgeübter Gewerbebetrieb fällt als Inbegriff von Vermögenswerten rechtlicher und tatsächlicher Art als Ganzes in die Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter ist somit zur Übernahme der gesamten Tätigkeit des Schuldners einschließlich der Befriedigung der Verbindlichkeiten verpflichtet (vgl. §§ 80, 81 InsO), wenn er das Geschäft oder die freiberufliche Praxis des Schuldners mit der Masse fortführt. Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Betrieb erzielt, gehören grundsätzlich in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse.
Eine Fortführung des Gewerbebetriebs durch den Insolvenzverwalter in Form eines massebezogenen Verwaltungshandelns i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO ist u.a. dann anzunehmen, wenn er die selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners im Interesse der Masse erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht auf dessen Antrag nach § 850i ZPO i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO vom Gericht belassen werden und die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen.
Eine Masseverbindlichkeit wird dagegen nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, wenn der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübt und die entsprechenden Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangen.
Eine Verwaltungsmaßnahme liegt unter Geltung des § 35 InsO a.F. auch dann nicht vor, wenn der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit (wissentlich) duldet, aber keine darüber hinausgehenden Aktivitäten entfaltet.
Erklärt der Insolvenzverwalter die Freigabe der selbständigen Tätigkeit, sind die aus dieser Tätigkeit resultierenden Einkommensteuerschulden ebenfalls keine Masseverbindlichkeiten, sondern gegen das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners festzusetzen. Dies gilt unabhängig davon, ob vor Geltung des § 35 Abs. 2 InsO n.F. eine Freigabe der selbständigen Tätigkeit überhaupt möglich war. Sollte eine Freigabe insolvenzrechtlich nicht möglich und daher unwirksam gewesen sein, wäre sie als Duldung der Tätigkeit des Schuldners anzusehen und die aufgrund dieser Einkünfte entstehende Einkommensteuer folglich keine Masseverbindlichkeit.
Vorliegend hat der Insolvenzverwalter die Tätigkeit des Insolvenzschuldners weder freigegeben noch lediglich geduldet. Er hat vielmehr die Fortführung der betrieblichen Tätigkeit im Interesse der Masse erlaubt und an ihr mitgewirkt, indem er die Betriebseinnahmen auf einem von ihm eingerichteten Anderkonto für die Masse vereinnahmt und sodann zur Masse gehörende Mittel dem Schuldner überlassen hat, um die durch den fortgeführten Betrieb entstehenden Forderungen Dritter zu begleichen. Damit beruht die durch die Tätigkeit des Schuldners ausgelöste Einkommensteuerschuld, die nach Insolvenzeröffnung verwirklicht und damit insolvenzrechtlich i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO “begründet” wurde, auf dem Verwaltungshandeln des Insolvenzverwalters und stellt daher eine Masseverbindlichkeit dar. Eine Differenzierung, wonach etwa die durch den fortgeführten Betrieb verursachten Materialkosten Masseverbindlichkeit sind, nicht aber die dadurch ausgelösten Steuern, scheidet aus.
Die zur Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Kraftfahrzeugsteuer ergangenen BFH-Entscheidungen stehen dem nicht entgegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs liegt allein darin, dass pfändbarer Arbeitslohn des Insolvenzschuldners als Neuerwerb zur Insolvenzmasse gelangt, keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO. Damit ist die auf die Lohneinkünfte zu zahlende Einkommensteuer keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit.
Diese Entscheidungen sind aber auf Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nicht übertragbar. Zum einen gehört bei nichtselbständiger Tätigkeit die Arbeitskraft nicht zur Insolvenzmasse, während bei selbständiger Tätigkeit der Gewerbebetrieb bzw. die freiberufliche Praxis oder der Gesellschaftsanteil Teil der Insolvenzmasse ist. Zum anderen ist der Fiskus bei Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit ‑anders als bei Einkünften aus selbständiger Tätigkeit- als Gläubiger der Lohnsteuer privilegiert, weil die vom Arbeitgeber abzuführende Lohnsteuer direkt vom Arbeitslohn des Insolvenzschuldners abgezogen wird.
Die zur Umsatzsteuer ergangenen BFH-Urteile vom 07.04.2005; und vom 17.03.2010 stehen der vom Bundesfinanzhof vorgenommenen Wertung ebenfalls nicht entgegen. Zum einen sind die dort entschiedenen Fallgestaltungen mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Zum anderen lagen die unter Punkt II. 2.b aa genannten Voraussetzungen für eine “Verwaltung der Insolvenzmasse” i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO nicht vor.
Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem zur Kraftfahrzeugsteuer ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13.04.2011, in der ausgeführt wurde, dass die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer keine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, wenn das Fahrzeug nicht zur Insolvenzmasse gehört. Die aus dem Halten eines Fahrzeugs resultierende Kraftfahrzeugsteuer (§ 1 des Kraftfahrtsteuergesetzes) ist insoweit nicht mit der Einkommensteuer aufgrund einer selbständigen Tätigkeit vergleichbar, deren Betriebseinnahmen als Neuerwerb vollen Umfangs in die Masse fallen.
Die Einkommensteuerschuld ist auch insgesamt als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren. Obschon der Insolvenzmasse nicht die gesamten gewerblichen Einkünfte verblieben sind, kommt eine Aufteilung der Einkommensteuer dergestalt, dass ein Teil gegen den Insolvenzverwalter und der andere Teil gegen den Schuldner festgesetzt wird, nicht in Betracht. Ist die durch die Verwaltung der Insolvenzmasse entstandene Einkommensteuer ‑wie im Streitfall- insgesamt als sonstige Masseverbindlichkeit zu qualifizieren, kann es nicht darauf ankommen, in welchem Umfang Einkünfte zur Masse gelangt oder für die Lebenshaltung des Schuldners verbraucht worden sind. Eine solche Einschränkung der Masseverbindlichkeit ist dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 InsO nicht zu entnehmen. Die Insolvenzmasse wird dadurch auch nicht unangemessen belastet, weil die für die Lebenshaltung benötigten Beträge infolge des Grundfreibetrags und des Sonderausgabenabzugs typischerweise nicht mit Einkommensteuer belastet werden und der der Masse entnommene Erwerbsaufwand durch den Betriebsausgabenabzug die Steuerschuld mindert.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. April 2015 – III R 21/11