Mit der Frage der Haftung des Aufsichtsrates für verbotswidrige Zahlungen hatte sich aktuell das Hanseatische Überlandesgericht Hamburg zu befassen – und verneinte eine solche Haftung im vorliegenden Fall, weil nicht festzustellen ist, dass es durch die den Aufsichtsratsmitgliedern vorgeworfenen Pflichtverletzungen zu einem Vermögensverlust der Aktiengesellschaft im Sinne des § 93 Abs. 3 Nr. 6 [a.F.] AktG gekommen wäre.

Der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Vermögensverlust unterliegt als Element der haftungsbegründenden Kausalität aber der Darlegungs- und Beweispflicht des Insolvenzverwalters.
Auf der Grundlage des Berichts des Wirtschaftsprüfers über die Prüfung des Jahresabschlusses der Schuldnerin owie der Protokolle der nachfolgenden Aufsichtsratssitzungen ist zwar vorliegend davon auszugehen, dass die Unternehmenskrise auch den Mitgliedern des Aufsichtsrats der Schuldnerin nicht entgangen ist. Hiernach unterlagen die Aufsichtsratsmitglieder nicht zuletzt auch hinsichtlich des vom Vorstand einzuhaltenden Zahlungsverbots gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 [a.F.] AktG einer gesteigerten Überwachungspflicht, in deren Rahmen sie auch dazu verpflichtet waren, sich ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin zu machen und insoweit die ihnen nach §§ 90 Abs. 3, 111 Abs. 2 AktG zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen.
Es liess sich aber nicht feststellen, dass die Aufsichtsratsmitglieder durch die Wahrnehmung ihrer hinsichtlich der Bücher und Schriften der Schuldnerin bestehenden Einsichtnahme- und Prüfungsrechte eine nicht nur drohende, sondern bereits eingetretene Insolvenzreife der Schuldnerin mit der Konsequenz hätten erkennen können, dass die ihnen obliegenden Informations, Beratungs- und Überwachungspflichten sich zu einer Verpflichtung dahingehend verdichtet hätten, darauf hinzuwirken, dass der Vorstand keine mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters nicht zu vereinbarenden Zahlungen mehr leiste bzw. insofern auch keine Zahlungen auf etwa debitorisch geführte Bankkonten der Schuldnerin mehr entgegennehme.
Für den Fall, dass die Aufsichtsratsmitglieder die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin unter dem Gesichtspunkt der bereits eingetretenen Insolvenzreife einer pflichtgemäß eigenständigen Prüfung unterzogen hätten, hätte zunächst eine das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 3 Satz 1 [a.F.] auslösende Überschuldung der Schuldnerin nämlich deshalb nicht festgestellt werden können, weil von einer Überschuldung der Schuldnerin wiederum schon auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Insolvenzverwalters und des unstreitig gebliebenen Vorbringens der Aufsichtsratsmitglieder tatsächlich nicht auszugehen ist.
Im Rahmen der von ihm behaupteten Überschuldung der Schuldnerin hat der Insolvenzverwalter die seitens der Aufsichtsratsmitglieder unbestritten im Umfang von zumindest € 328.000, 00 geltend gemachten Rangrücktrittserklärungen unter anderem der beiden Aktionärinnen der Schuldnerin mit den ihnen dieser gegenüber zustehenden Darlehensforderungen schlicht unberücksichtigt gelassen. Bei deren zutreffender Berücksichtigung hat sich eine Überschuldung der Schuldnerin im klagegegenständlichen Zeitraum aber bereits deshalb nicht ergeben können, weil die in einem Überschuldungsstatus zu bilanzierenden Verbindlichkeiten der Schuldnerin in diesem Fall um eben diesen Betrag geringer anzusetzen gewesen wären mit der Folge, dass entgegen dem Vorbringen des Insolvenzverwalters weder per 1.02.2007 von einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von € 42.101, 11 oder gar € 166.091, 52 noch per 30.04.2007 von einem weiteren Fehlbetrag der Schuldnerin in Höhe von € 148.661, 63 auszugehen gewesen wäre. Soweit der Insolvenzverwalter eine Überschuldung der Schuldnerin im Umfang von mindestens € 527.450, 05 zudem daraus herleitet, dass deren Warenbestand in einem Überschuldungsstatus mit höchstens € 500.000, 00 anzusetzen gewesen wäre, ermangelt es dem Vorbringen des Insolvenzverwalters jeglicher Substantiierung, auf deren Grundlage dieser Wertansatz nachvollzogen werden könnte.
Es ist zugleich aber ebenso wenig festzustellen, dass die Aufsichtsratsmitglieder r den Fall der pflichtgemäßen Wahrnehmung ihrer hinsichtlich der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin bestehenden Einsichtnahmerechte deren bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hätten feststellen können. In diesem Zusammenhang gilt, dass auch der Insolvenzverwalter sich für die von ihm behauptete Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO) der Schuldnerin nicht etwa auf eine aus den Geschäftsunterlagen der Schuldnerin abgeleitete Liquiditätsbilanz, also eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und der liquiden Mittel der Schuldnerin, stützt, sondern sich stattdessen lediglich auf solche Umstände bezieht, die eine Zahlungseinstellung und die hieraus gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu schlussfolgernde Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin indiziell nahelegen.
Soweit der Insolvenzverwalter die Zahlungsunfähigkeit aus angeblich eigenen Erklärungen der Schuldnerin ableitet, ihre bestehenden Verbindlichkeiten nicht vollständig erfüllen zu können, kommt derartigen Äußerungen, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte verbunden sind, zwar regelmäßig eine erhebliche Bedeutung für die Frage der Zahlungseinstellung zu.
Von inhaltlich darüber hinausgehenden, etwa bloß mündlichen Erklärungen des Vorstands der Schuldnerin gegenüber deren Gläubigern, zur Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten nicht in der Lage zu sein, hätten die Aufsichtsratsmitglieder demgegenüber aber auch durch die Wahrnehmung ihrer gemäß § 111 Abs. 2 AktG auf die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin bezogenen Einsichtnahmerechte noch keine Kenntnis erlangen können.
Auch die aus der Nichtzahlung fälliger und bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbeglichen gebliebener Verbindlichkeiten für die Beurteilung der Zahlungseinstellung abzuleitende Indizwirkung müssen sich die Aufsichtsratsmitglieder vorliegend nicht entgegenhalten lassen.
Zu den vom Insolvenzverwalter behaupteten Zeitpunkten des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hat sich aus deren Geschäftsunterlagen naturgemäß kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lassen können, welche der jeweils aktuell bestehenden Verbindlichkeiten auch noch bis zur Eröffnung eines zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal beantragten Insolvenzverfahrens von der Schuldnerin zukünftig nicht mehr erfüllt werden würden. Der bloße Umstand, das die Schuldnerin zu den Zeitpunkten des seitens des Insolvenzverwalters behaupteten Eintritts der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin überhaupt fälligen Verbindlichkeiten ausgesetzt gewesen ist, hat aus der maßgeblichen damaligen Sicht der Beklagten zu 3. bis 5. für die Beurteilung einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit für sich genommen aber so lange noch nichts hergeben können, wie nicht zugleich festgestanden hat, dass diese Verbindlichkeiten innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen zu mehr als zehn Prozent nicht mehr hätten erfüllt werden können. Dass dies der Fall gewesen wäre und zugleich die Beklagten zu 3. bis 5. dies den Geschäftsunterlagen der Schuldnerin hätten entnehmen können, lässt sich aber schon auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Insolvenzverwalters wiederum nicht feststellen.
Hiernach kommt auch insbesondere der Behauptung des Insolvenzverwalters keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit zu, dass die Schuldnerin gegenüber ihrer Vermieterin bereits im Frühjahr 2006 mit lediglich zwei Monatsmieten in Rückstand geraten und nachfolgend geblieben ist. Dass diesem Sachverhalt nicht die Bedeutung einer Zahlungseinstellung hat zukommen können, erschließt sich nämlich schon daraus, dass die Zahlung der laufenden Monatsmieten von der Schuldnerin nachfolgend wieder uneingeschränkt aufgenommen worden ist.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 6. März 2015 – 11 U 222/13