Die Einkommensteuerschuld, die aus der Verwertung der zur Insolvenzmasse (und zum Betriebsvermögen) gehörenden Wirtschaftsgüter resultiert, ist als sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren. Diese Einkommensteuerschuld ist – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und –nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös– der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen.

Sonstige Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind u.a. Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Insbesondere wegen der Art und Weise ihrer Geltendmachung und ihrer Anspruchsbefriedigung sind diese von den Insolvenzforderungen (§§ 35 Abs. 1, 38, 87, 174 ff., 187 ff. InsO) abzugrenzen. Insolvenzforderungen sind nach § 38 InsO solche Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung (z.B. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) und deren Fälligkeit kommt es dagegen nicht an.
Entscheidend ist, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt wurde. Der Rechtsgrund für einen (abstrakten) Steueranspruch ist gelegt, wenn der gesetzliche Besteuerungstatbestand verwirklicht wird. Ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet ist, richtet sich auch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Bezogen auf die Einkommensteuer kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung der Steuerforderung folglich darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand –insbesondere die Einkünfte nach § 2 Abs. 1 EStG– vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die aus der Veräußerung der beweglichen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens resultierende Einkommensteuer – im vorliegenden Fall unstreitig – als Masseverbindlichkeit qualifiziert worden. Dasselbe gilt für die aus der Veräußerung des Grundstücks resultierende Einkommensteuer. Auch diese wurde als Vermögensanspruch erst nach Insolvenzeröffnung begründet.
Die aus der Veräußerung des Grundstücks resultierende Einkommensteuer beruht auf der freihändigen Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters. Der Besteuerungstatbestand wurde durch diese Handlung nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet, weshalb die aus der Gewinnrealisierung resultierende Einkommensteuer als sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren ist. Der Bundesfinanzhof sieht keinen Grund, von dieser ständigen Rechtsprechung abzuweichen.
Dabei braucht der BFH nicht zu entscheiden, ob die Einkommensteuer aufgrund einer “Handlung” des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 InsO) oder aber “in anderer Weise” (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO) begründet wurde. Es ist jedenfalls eine der beiden Alternativen erfüllt, wenn man mit der vorgenannten Rechtsprechung für das insolvenzrechtliche “Begründetsein” darauf abstellt, wann und durch wen der steuerauslösende (unselbständige) Besteuerungstatbestand i.S. des § 2 Abs. 1 EStG (vollständig) verwirklicht wurde. Dies ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Abgrenzung. Die Anknüpfung der Besteuerung an die “Realisationshandlung” gilt uneingeschränkt auch dann, wenn sie nicht der Steuerpflichtige selbst, sondern der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Verwaltungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO vorgenommen hat.
Die vorgenannten Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn durch die Veräußerung nach Insolvenzeröffnung stille Reserven aufgedeckt werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Im insolvenzrechtlichen Schrifttum wird demgegenüber überwiegend vertreten, dass die aus der Aufdeckung stiller Reserven resultierende Einkommensteuer nur insoweit als sonstige Masseverbindlichkeit zu qualifizieren sei, als die stillen Reserven nach Insolvenzeröffnung entstanden seien; im Übrigen handle es sich um eine Insolvenzforderung.
Der BFH hält auch nach erneuter Würdigung der von dem insolvenzrechtlichen Schrifttum vorgebrachten Argumente an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Ergänzend weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass die vorgenannte, zunächst zu den Regelungen der KO vertretene Auffassung nicht mit §§ 38, 55 Abs. 1 InsO vereinbar ist. Diese Auffassung stellte für die Beurteilung des insolvenzrechtlichen “Begründetseins” nicht darauf ab, wann der Besteuerungstatbestand und damit der Rechtsgrund verwirklicht wird, sondern ausschließlich auf die für die Steuerverwirklichung unmaßgebliche Entstehung des Wertzuwachses. Der Wertzuwachs unterliegt aber erst dann der Besteuerung, wenn es durch einen steuerauslösenden Tatbestand zur Gewinnrealisation kommt. Letzteres steht im Einklang mit den allgemeinen Maßstäben zur Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und (sonstiger) Masseverbindlichkeit. Danach kommt es stets auf die Verwirklichung des anspruchsbegründenden Tatbestands an. Trennlinie zwischen sonstigen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen ist, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick vor Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Das ist dann der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war. Für Zwecke der Besteuerung können keine anderen Kriterien gelten.
Der hier vertretenen Auffassung steht auch nicht der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 2010 entgegen. In dieser Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof nicht mit Abgrenzungskriterien zum insolvenzrechtlichen “Begründetsein” auseinandergesetzt. Vielmehr hat er sich mit der Befriedigungsreihenfolge bei angezeigter Masseunzulänglichkeit beschäftigt und betont, dass die Umsatzsteuer aus Verwertungserlösen nach Masseunzulänglichkeit nicht zu den erstrangig zu befriedigenden Verfahrenskosten (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO), sondern zu den zweitrangigen Neumasseverbindlichkeiten gehört.
Anders als das Finanzgericht meint, durfte das Finanzamt die sonstige Masseverbindlichkeit auch in voller Höhe durch Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter als Bekanntgabeadressat geltend machen.
Die als sonstige Masseverbindlichkeit zu qualifizierende (Einkommensteuer-)Forderung hat das Finanzamt zu Recht durch (Einkommen-)Steuerbescheid festgesetzt und diesen dem Insolvenzverwalter als Bekanntgabeadressat bekanntgegeben.
Das Finanzamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn in voller Höhe eine sonstige Masseverbindlichkeit darstellt. Die Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn ist auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und –nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös– der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen. An der anderslautenden Rechtsprechung, die noch zu den Regelungen der KO ergangen ist und auf die das Finanzgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung abgestellt hat, hält der Bundesfinanzhof unter Geltung der InsO nicht mehr fest.
Ausgehend von dem BFH-Urteil in BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602 müsste die Einkommensteuer, soweit sie den zur Masse gelangten Betrag übersteigt (Restforderung), als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen qualifiziert werden. Die Rechtsmacht des Verwalters, mit Wirkung für und gegen den Schuldner zu handeln, ist gegenständlich jedoch nach § 80 Abs. 1 InsO auf die Insolvenzmasse beschränkt. Er kann ausschließlich Masseverbindlichkeiten begründen, nicht hingegen den Schuldner persönlich mit seinem insolvenzfreien Vermögen verpflichten. Ist die Einkommensteuer daher bereits aus insolvenzrechtlichen Gründen insgesamt als sonstige Masseverbindlichkeit zu qualifizieren, kann es nicht darauf ankommen, in welchem Umfang der Veräußerungserlös zur Masse gelangt ist. Eine solche Einschränkung der Masseverbindlichkeit ist auch dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 InsO nicht zu entnehmen.
Weder die Interessenlage der Beteiligten noch systematische Erwägungen rechtfertigen es, dem Verwalter über den Wortlaut des § 80 Abs. 1 InsO hinaus die Befugnis einzuräumen, den Schuldner persönlich mit seinem insolvenzfreien Vermögen zu verpflichten und nur den (tatsächlich) zur Masse gelangten Betrag der Besteuerung zu unterwerfen.
Das Argument, Steuerobjekt der Einkommensteuer sei das “Einkommen”, weshalb die Einkommensteuer auch nur insoweit die Qualität eines Masseanspruchs erlangen könne, als das Steuerobjekt zur Masse gelange, negiert das Schicksal der Rest-Einkommensteuerforderung. Der gleiche Einwand müsste nämlich auch für das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners gelten, denn auch dieses wurde nach der Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger nicht bereichert.
Auch greift der Hinweis des Insolvenzverwalters nicht durch, dass die Aufgabe der Rechtsprechung dem Ziel der Restschuldbefreiung nach § 1 Satz 2 InsO zuwiderliefe. Unabhängig davon, dass das BFH, Urteil in BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602 zur KO ergangen ist, die keine Restschuldbefreiung vorsah, stand allenfalls die bisherige Rechtsauffassung ab Geltung der InsO diesem Verfahrensziel der Restschuldbefreiung entgegen.
Nach seiner bisherigen Rechtsprechung hatte der BFH die Masseverpflichtung auf den zur Konkursmasse gelangten Betrag reduziert. Die restliche Steuerforderung wäre jedoch unter Geltung der InsO, wie unter II.2.b aa dargelegt, als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen zu qualifizieren. Eine solche Forderung würde aber am Restschuldbefreiungsverfahren (§ 286 ff. InsO) nicht teilnehmen können, weil sie nicht gegenüber einem Insolvenzgläubiger besteht. Auch könnte der Schuldner von dieser Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen nicht durch ein zweites Insolvenz- und anschließendes Restschuldbefreiungsverfahren befreit werden. Zwar wäre die Forderung in einem zweiten Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung zu qualifizieren, die zur Teilnahme am Restschuldbefreiungsverfahren grundsätzlich berechtigen könnte. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH ist die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens jedoch unzulässig, weil –ohne Freigabe von Vermögen– wegen §§ 35 Abs. 1, 36 InsO kein weiteres insolvenzrechtlich verwertbares Vermögen vorhanden wäre. Folglich hätte der Insolvenzschuldner keine Möglichkeit, sich von der durch den Verwalter (mit Hilfe der Rechtsprechung) begründeten Steuerforderung zu befreien, was dem Ziel der Restschuldbefreiung zuwiderläuft.
Nach der nunmehr vertretenen Rechtsauffassung handelt es sich bei der Steuerforderung insgesamt um sonstige Masseverbindlichkeiten, so dass insoweit ein Zielkonflikt mit der Restschuldbefreiung nicht auftreten kann.
Der BFH verkennt nicht, dass die Verwertung der mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände im allseitigen Interesse liegt und die Änderung der bisherigen Rechtsprechung die praktische Folge nach sich ziehen könnte, dass der Verwalter künftig von der Möglichkeit der Freigabe des belasteten Gegenstands Gebrauch machen wird, um die Masse nicht mit aus Steueransprüchen resultierenden Masseverbindlichkeiten zu belasten. Die Richtigkeit einer solchen Annahme unterstellt, kann dieser rein tatsächliche Gesichtspunkt gleichwohl nicht darüber hinweg helfen, dass dem Verwalter die rechtliche Befugnis zur Belastung des insolvenzfreien Vermögens mit Verbindlichkeiten fehlt.
Sollte es wegen der geänderten Rechtsprechung vermehrt zur Freigabe der mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände kommen und sollte die aus ihrer Verwertung durch die absonderungsberechtigten Gläubiger resultierende Einkommensteuer als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen einzuordnen sein, läge der Grund für einen daraus resultierenden Zielkonflikt mit der Restschuldbefreiung aber –anders als der Insolvenzverwalter meint– zumindest nicht in der geänderten Rechtsprechung. Anders als unter der bisherigen Rechtsprechung wäre wegen der Freigabe des Gegenstands verwertbare Masse vorhanden, die grundsätzlich ein zweites Insolvenzverfahren rechtfertigen könnte. Einer Restschuldbefreiung könnte dann zwar der Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegenstehen. Darüber ist jedoch vorliegend nicht zu entscheiden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Mai 2013 – IV R 23/11