Geschäftsführerhaftung für die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung

Die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung durch den Geschäftsführer ist nach der Insolvenzreife der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar und führt zur Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG.

Geschäftsführerhaftung für die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung

Das OLG München, das zuvor mit dem jetzt vom BGH entschiedenen Rechtsstreit befasst war, hatte noch die Auffassung vertreten, die Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung, auch der Arbeitgeberbeiträge, nach Insolvenzreife sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar. Diese Auffassung ist jedoch nach Ansicht des BGH von Rechtsirrtum geprägt. Der Geschäftsführer einer GmbH ist, so der BGH, nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 und 2 GmbHG n.F.) zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleistet werden, wenn die Zahlungen nicht auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Die Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife ist im Gegensatz zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar. § 266 a Abs. 1 StGB stellt nur das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, nicht auch der Arbeitgeberbeiträge unter Strafe. Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, weil einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, fällige Leistungen an die Sozialkasse nicht zu erbringen, wenn er dadurch Gefahr liefe, strafrechtlich verfolgt zu werden.

Rechtsirrig ist, so der BGH, auch die weitere Annahme des OLG München, für die Vereinbarkeit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns spreche eine tatsächliche Vermutung. Schon weil nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 2 GmbHG n.F.) vermutet wird, dass der Geschäftsführer Zahlungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geleistet hat, ist kein Raum für eine gegenteilige tatsächliche Vermutung.

Auch für eine Vermutung, dass Zahlungen an Sozialversicherungsträger auf Arbeitnehmerbeiträge geleistet werden, besteht keine Grundlage. § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages – Beitragsverfahrensverordnung (BVV) – trifft eine Bestimmung über die Reihenfolge der Tilgung bei Teilzahlungen des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Arbeitnehmeranteile werden nur dann vorrangig getilgt, wenn der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung trifft. Eine konkludente Tilgungsbestimmung setzt voraus, dass sie greifbar in Erscheinung getreten ist, und kann nicht vermutet werden.

Merke: Zahlt der Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen nicht, ist dies (als Beitragsvorenthaltung) strafbar und führt zu seiner persönlichen Haftung. Zahlt er dagegen nach Insolvenzreife neben den Arbeitnehmer- auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, ist dies kein ordentliches Geschäftsgebahren mehr und führt ebenso zur Haftung. Und: Zahlt er nur die Arbeitnehmeranteile, ohne diese auch so zu bezeichnen, wird vermutet, dass die Zahlung hälftig Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile enthält. Der Geschäftsführer haftet bei anteiliger Zahlung ohne hinreichende Zweckbestimmung mithin für den hälftigen nichtbezahlten Betrag (als vorenthaltene Arbeitnehmeranteile) und für den hälftigen bezahlten Betrag (als zu Unrecht noch gezahlte Arbeitgeberanteile). Bei einer insolvenzreifen Gesellschaft lauern halt eine Reihe von Haftungsfallen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. Juni 2009 – II ZR 147/08